Erinnerungen von Pfarrer Karl Ungar - maldorf-hohndorf.de

"Als Pfarrer in Maldorf (1942-1956)"
Erinnerungen des Pfarrers Karl Ungar


13 Jahre lang hat Pfarrer Karl Ungar in der Maldorfer Kirchengemeinde gewirkt und für alle Gemeindemitglieder, die in Deutschland ihre zweite Heimat gefunden haben, mit seinem Buch ein umfangreiches Dokument hinterlassen.
Mit dem Einverständnis von Herrn Gustav Schneider, Schwiegersohn von Pfarrer Ungar und langjähriger Schuldirektor des Joseph Halterichs Gymnasium aus Schäßburg, veröffentlichen wir einen Teil aus der Niederschrift Pfarrer Karl Ungars aus der Zeit von 1942-1956.
Im Namen aller Maldorfer und Hohndorfer Landsleute gilt ein besonderer Dank sowohl Herrn Gustav Schneider und der Familie Ungar als auch unserem Landsmann Michael Welter, der den Kontakt zu Herrn Schneider und zur Familie Ungar hergestellt und dadurch maßgeblich zur Veröffentlichung beigetragen hat.





Karl Ungar, 1988
Pfarrerehepaar Karl und Ida Ungar, 1974



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Im August 1942 wurde ich vom Presbyterium der evangelischen Kirchengemeinde A.B. von Maldorf aufgefordert, mich um die vakante Pfarrstelle zu bewerben.
Da wir weder Maldorf noch dessen Umgebung näher kannten, machten wir uns mit Ida auf, die Gegend zu besichtigen. Maldorf war als Dorfanlage nicht mit Braller zu vergleichen. Die Häuser, ebenso auch das Pfarrhaus, waren kleiner, die Kirche lag im Tal ohne große Wehranlage, alles wirkte ärmlicher und bescheidener, als das, woran wir uns in Braller gewöhnt hatten. Im Gespräch mit den Gemeindevertreten erkundigten wir uns nach den materiellen Bedingungen, die uns Maldorf bieten würde und erfuhren, daß sich das Parochialvermögen aus dreißig Joch Grundbesitz und vier Weingärten zusammensetzte. Das Pfarrhaus umgab ein sehr großer Garten und auf dem Pfarrhof befanden sich entsprechende Wirtschaftsgebäude. Das alles überbot die materielle Lage, die wir in Braller zur Zeit hatten. Dazu kam, daß Maldorf nur 10 Kilometer entfernt von Elisabethstadt und der Eisenbahnstation lag und daß die Entfernung bis Mediasch (der Bezirksstadt) bzw. Schäßburg, in denen es je ein Gymnasium gab, nur rund 30 Kilometer betrug, so daß sie leicht mit einem Pferdewagen erreicht werden konnten. Das alles reizte uns, einen Stellenwechsel in Erwägung zu ziehen. Doch konnten wir uns nicht entschließen, sofort eine Zusage auszusprechen und baten um eine dreitägige Bedenkzeit.
Nach Braller zurückgekehrt begannen wir das Für und Wider eines Umzuges zu erwägen. Für unsere weitere Tätigkeit in Braller sprach die anhängliche und geschlossene Kirchengemeinde, die schöne Dorfanlage mit der Kirchenburg, das große Pfarrhaus und nicht zuletzt unser gutes Verhältnis zum Presbyterium. Als Nachteile wiederum zählten wird das geringe Parochialvermögen, die große Entfernung zur Bahnstation und die sonstigen Verkehrswege, was die Fahrten nach Hermannstadt zu unseren Kindern nicht nur erschwerte, sondern auch verteuerte. Im Vergleich zu den Pluspunkten Brallers schienen jene von Maldorf zu überwiegen. Die bessere materielle Lage und die Stadtnähe Maldorfs trugen letzten Endes dazu bei, daß wir uns für einen Stellenwechsel entschieden. Also teilte ich dem Kirchenamt von Maldorf meine Bereitschaft mit, mich um Ihre Pfarrstelle zu bewerben. Am 6. September 1942 wählten mich die Maldorfer einstimmig zu ihrem Pfarrer und ließen mir den Wahlbrief durch die beiden Kirchenväter Martin Welther und Georg Zikeli überbringen.
In Braller nahm man meinen Entschluss mit Bedauern zur Kenntnis. Allgemein war man der Meinung, daß Frau ... die Hauptschuld zuzuschreiben sei, daß ich Braller verlasse wolle. Nie hatte sich Frau ... irgendwelcher Beliebtheit bei den Dorfbewohnern erfreut, nun aber äußerten sich viele mit Empörung über ihre Verhaltensweise. Ihr Versuch, die Leute vom Abschiedsgottesdienst am 25. Oktober 1942 fernzuhalten, misslang, ebenso geschah es auch bei unserer Verabschiedung am 30. Oktober 1942. Obwohl Frau … Kindern verboten hatte, das Schulgebäude an diesem Tag zu verlassen, waren doch viele von ihnen, zusammen mit ihren Eltern, zum Abschiedsfest erschienen. Die meisten Leute dankten uns für die in Braller geleistete Arbeit, schüttelten uns gerührt die Hände zum Abschied, wünschten uns für die Zukunft alles Gute und überreichten uns eine Menge schöner Blumen.
Dann verließen wir auf einem mit Blumengirlanden geschmückten Wagen Braller. Von Agnetheln bis Schässburg fuhren wir mit der Schmalspurbahn und anschließend bis Elisabethstadt mit der Eisenbahn. Hier hätten uns normalerweise die Maldorfer festlich empfangen sollen. Doch, oh Schreck, da war kein einziger Mensch, der uns erwartete. (Erst später stellten wir fest, daß mein Brief, in dem ich den Termin und die genaue Zeit unserer Ankunft mitgeteilt hatte, in Maldorf mit Verspätung angekommen war). Von einem „Fiaker" ließen wir uns ins Elisabethstädter Hotel fahren, wo wir übernachteten. Am nächsten Tag, es war ein Samstag, machten wir einen Stadtbummel


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und trafen dabei mehrere Menschen, die ich schon aus meiner Felsendorfer Amtszeit kannte. So auch den Bäckermeister R., der damals Unterkreisleiter des Kreises Weinland war. Als dieser hörte, daß ich der neugewählte Pfarrer von Maldorf sei, schüttelte er bedauernd den Kopf und sagte: „Leider kann ich Ihnen nicht gratulieren, auch kein Glück zu Ihrem neuen Wirkungsfeld wünschen, eher müsste ich Ihnen kondolieren, denn Maldorf ist eine unzuverlässige Gemeinde, in der es Ihnen bestimmt nicht gut gehen wird". Betroffen von dieser Aussage setzten wir unseren Spaziergang fort und trafen bald darauf die beiden Amtsbrüder, J. H., Pfarrer von Irmesch und den Evangelischen Pfarrer K. R. U. Auch diese waren erstaunt darüber, daß ich nach Maldorf „das sich keines guten Rufes erfreue", gehen wolle. Sie wünschten mir Glück und Gottes Beistand, um die Gemeinde auf den rechten Weg zu bringen und verabschiedeten sich. Ich ließ mir alles noch einmal durch den Kopf gehen und deutete schon die Tatsache, daß wir nicht standesgemäß empfangen worden waren, als schlechtes Omen. Die Frage, ob unser Entschluss, nach Maldorf zu gehen auch richtig gewesen war, quälte mich und ließ mich die Nacht von Samstag auf Sonntag nur wenig schlafen.
Am Sonntagmorgen, den 1. November 1942, erschienen die beiden Maldorfer Kirchenväter Martin Welther und Georg Zikeli mit zwei blumengeschmückten Pferdewagen und holten uns von Elisabethstadt ab. Schon bei der Begrüßung beteuerten die beiden Ihre Unschuld wegen der unliebsamen Verspätung und baten uns, der Angelegenheit keine Bedeutung zu schenken. Wir bestiegen die schönen Gefährte und fuhren in flottem Tempo unserem Ziel entgegen. Nach der Ausfahrt von Elisabethstadt schlängelt sich der Weg entlang des Tales vorbei an der Wegkreuzung „die drei Wege" (nach links führt der Weg nach Reussdorf, der mittlere nach Johannisdorf und Irmesch, bleibt man auf dem „rechten Weg, gelangt man nach Hohndorf, Maldorf und Rode), den Berg hoch bis zur Wasserscheide der beiden Kokeln, auf die „Epeschdierfer Hill", dann das Tal bergabwärts bis Hohndorf. Diese hauptsächlich von Rumänen bewohnte Ortschaft ist ein langgezogenes Einstrassendorf und endet an einer Bachbiegung, wo am rechten Bachufer sofort das nächste Dorf, Maldorf beginnt. Die beiden Dörfer Hohndorf und Maldorf haben eine gemeinsame staatlich politische Verwaltung, also auch eine gemeinsames Rathaus. Dieses befindet sich in der Nähe der dörfertrennenden Brücke auf Maldorfer Gebiet. Vor dem Rathaus erwarteten uns die Schulkinder und die konfirmierte Jugend, die an den beiden Gassenrändern Spalier standen, die Adjuvanten, die einen flotten Marsch spielten und der Bürgermeister Georg Keul, der eine Begrüßungsansprache hielt. Ich dankte für den herzlichen Empfang, stieg vom Wagen und ging zu Fuß, so wie es der Brauch von Maldorf erfordert, zusammen mit dem Bürgermeister, begleitet von den Adjuvanten und den Jugendlichen, bis zum Pfarrhaus, wo uns die versammelte Gemeinde erwartete. Kurator Michael Zikeli (Pradijer Misch) begrüßte uns herzlich, dankte für unser Kommen,


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versprach eine gute Zusammenarbeit und bat Gott Er möge dem neuen Pfarrer Kraft und Ausdauer schenken, damit dieser lange in Maldorf wirken könne. In meiner Antwortsansprache dankte ich für den Empfang und versicherte, mit Gottes Hilfe mein Bestes zu tun, um auch in dieser schweren Zeit der kriegerischen Auseinandersetzung, die so viele Menschenopfer fordert, ein treuer und gewissenhafter Arbeiter im neuen Weinberg des Herren - in Maldorf- zu sein. Dann begleitete uns das Presbyterium ins Pfarrhaus. Hier standen schon unsere Möbel, die wir mit zwei Lastautos der deutschen Wehrmacht von Braller vor unserer Abfahrt losgeschickt hatten. Die schön eingerichteten Zimmer vermittelten uns das Gefühl, nicht in ein fremdes Haus, sondern „nach Hause" gekommen zu sein. Bei einem von den Presbyterfrauen vorbereiteten Mahl saßen wir noch lange zusammen, erkundigten uns nach den Eigenarten der Gemeinde, nach den Forderungen, die an den Pfarrer gestellt wurden und bekundeten unsere gegenseitige Hoffnung auf eine segensreiche Zusammenarbeit. Nachdem wir dann allein in unserem neuen Heim blieben, ließen wir die Ereignisse der letzten Tage noch einmal Revue passieren und kamen zu dem Schluss, daß die schlechten Meinungen über Maldorf, eigentlich unbegründet sein müssten, denn was wir heute erlebt hatten, der freundliche Empfang durch die Gemeindemitglieder und die sachlichen Gespräche mit den Presbytern, versprachen eine gute Zusammenarbeit. Sogar Karli, der beim Empfang vor dem Rathaus laut geschrien hatte: „Hä bleiwen ech net" (hier bleibe ich nicht), kam nach einem Rundgang durch den Pfarrhof zu mir und sagte strahlend vor Freude: „Mir hun hä uch ein gaden hieschen Hienenstall" (wir haben hier auch einen guten schönen Hühnerstall), also sah auch er voller Zuversicht in die Zukunft. Beruhigt durch die ersten Eindrücke von Maldorf, dankten wir Gott für seine väterliche Führung, befahlen uns in seinen Schutz und begaben uns zur wohlverdienten Ruhe.



Als Pfarrer in Maldorf


Unsere Präsentation in Maldorf fand am 11. November 1942 statt. Die Sitzung des Presbyteriums und der Gemeindevertretung in der die Vertragsrechte bzw. -pflichten zwischen der Kirchengemeinde Maldorf und dem neuen Pfarrer Karl Ungar festgelegt wurden, leiteten der Bezirksdechant des Mediascher Kirchenbezirks, Dr. Gustav Göckler und der Bezirksanwalt, Herr Hans Jakobi. Am anschließenden Festgottesdienst, in dem der neue Pfarrer in Begleitung der beiden Amtsbrüder Adolf Mathias, Pfarrer in Rode und Hans Feifer, Pfarrer in Kleinalisch, vom Bezirksdechanten Dr. Gustav Glöckler eingesetzt wurde, nahm die ganze Gemeinde teil. Nach dem Gottesdienst saßen die Anwesenden bei einem Festessen noch lange zusammen. In vielen der hier gehaltenen Festreden spiegelte sich der Zeitgeist wider. Man brachte die Sorge um die sich an der Front befindlichen jungen Männer


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zum Ausdruck, sprach Hoffnungen auf einen baldigen Frieden aus und ließ den König und seine Regierung, den Bischof und die Volksgruppenleitung, schließlich den Pfarrer und seine Gemeinde hochleben. Als Abschluss dankte ich allen an dieser Feier Beteiligten für ihren Beitrag und versprach, die mir von Gott auferlegten Pflichten auch in Maldorf treu und gewissenhaft zu erfüllen.
In Maldorf fand ich fürwahr kein genehmes Erbe. Mein Vorgänger, M. W., hatte als Lehrer von Petersdorf bei Mühlbach die Anerkennung des landeskirchlichen Rundschreibens 924/1936 (Verbot für Lehrer und Pfarrer, Mitglieder radikaler Parteien zu sein) verweigert und war deswegen aus dem kirchlichen Schuldienst entfernt worden. Als sich ihm aber die Möglichkeit bot, nach Maldorf als Pfarrer gewählt zu werden, unterschrieb er die bischöflichen Forderungen und nahm das Amt an. In Maldorf versuchte er die Pflichten des Gemeindepfarrers zu erfüllen, nebenbei aber auch völkisch tätig zu sein. Dabei missachtete er das Schriftwort aus Mathäus 24, wo es heißt „Niemand kann zwei Herren dienen, entweder er wird den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird dem einen anhängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon". W. politische Tätigkeit wurde von der Volksgruppenleitung belohnt, indem sie ihn als Unterkreisleiter mit dem Sitz in Elisabethstadt des Kreises Weinland einsetzte. Um neben seinen Aufgaben als Pfarrer von Maldorf auch jenen, die ihm die Politik aufgeregt gerecht werden zu können, stellte die Volksgruppenleitung W. ein Dienstauto zur Verfügung. Bald widmete sich der begeisterte Nationalsozialist mehr der politischen Arbeit als seinen pfarrämtlichen Pflichten, was schließlich zu unliebsamen Auseinandersetzungen mit der Gemeinde führte. Es kam so weit, daß die Burschen eines Nachts das Auto aus der Scheune des Pfarrhofes holten und in den Bach, der mitten durch das Dorf fließt, schoben. Bald zeigte sich, daß W. nicht weiter als Pfarrer in Maldorf bleiben konnte, weil sogar der Ortsleiter Johann Zikeli (Moser Hans) und die Ortsfrauenschaftsleiterin Rosina Winkler geb. Flagner ihn nicht mehr unterstützten. Die Volksgruppenleitung fand einen Ausweg indem sie ihn in die Leitung des Schulamtes, mit dem Sitz in Kronstadt, berief. W. verließ Maldorf bei Nacht und Nebel, ohne auch nur die Schlüssel des Pfarrhauses und der Kirche jemandem in Maldorf zu übergeben.
Nach der Erfahrung, die die Maldorfer mit meinem Vorgänger gemacht hatten, musste man sich nicht wundern, daß einige der Gemeindemitglieder mich mit gewissem Misstrauen betrachteten. Das hinderte mich aber nicht daran, von Anfang an die Arbeit voll anzupacken. Am 15. November 1942 hielt ich in der bis auf den letzten Platz gefüllten Kirche meine Antrittspredigt. In den anschließenden Gesprächen zeigten sich die Leute zufrieden, ja man konnte sogar eine gewisse Freude darüber heraushören, daß von nun an wieder das reine Wort Gottes und nicht mehr völkische Probleme von der Kanzel verkündet würden. Als ich bald darauf auch Bibelstunden


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abhielt, eine Neuigkeit für Maldorf, wurde der Raum im Pfarrhaus bald zu klein, um alle Teilnehmerinnen zu fassen. Auch der Religions-und Konfirmandenunterricht wurde von den Kindern regelmäßig und gerne besucht. Voll unterstützte meine Arbeit der fest im Glauben verankerte und musikalisch begabte Organist Georg Zikeli, der mit dem Kirchenchor nicht nur die Gottesdienste mitgestaltete, sondern auch bei anderen kirchlichen Handlungen mitwirkte. Alles lief in Maldorf nach Wunsch, bis eines Tages ein Amtsträger der Volksgruppe, Lehrer D. aus Arbegen, die Ortsgruppe inspizierte. Dieser stellte verschiedene Mängel fest, unter anderem auch die geringe Beteiligung der Maldorfer Frauen an der Arbeit des Frauenhilfswerks. In seinem Bericht beschuldigte er mich, den Ortspfarrer, die Frauen durch Bibelstunden von der Ausübung ihrer völkischen Pflichten fernzuhalten. Eine Abschrift seines Berichts schickte D. an den der Volksgruppenleitung nahestehenden Bischof W. St., welcher mich bald danach aufforderte, zu der Anschuldigung Stellung zu nehmen. In meiner Rechtfertigung wies ich darauf hin, daß ich mich bei meinem Ordinationseid verpflichtet habe, das Wort Gottes, die frohe Botschaft des Evangeliums, durch die Predigt, den Religionsunterricht, aber auch durch viele andere Möglichkeiten, also auch durch Bibelstunden, zu verkünden und zu lehren. Demnach fände ich die Anschuldigung D. als unbegründet, auch schon deshalb, weil ich nie versucht habe, die Frauen oder auch sonstige Gemeindeglieder, von irgendwelchen völkisch-politischen Aktivitäten fernzuhalten. Ob es diese Rechtfertigung oder sonstige Umstände waren, die mir die unumschränkte Ausübung späterer Amtshandlungen ermöglichten, ich habe es nie erfahren, doch hat kein Vertreter der Volksgruppe mehr versucht, meine Arbeit einzuschränken.
Bei unserer Übersiedlung aus Braller hatten wir dort die letzte Zuckerrübenernte zurückgelassen. Da es während des Krieges nur wenig, bzw. in großen Zeitabständen, Zucker zu kaufen gab, kochten die Bauern sich aus Zuckerrüben einen Saft, den sie als Zuckerersatz verwendeten. Weil auch wir dasselbe tun wollten, fuhren wir mit Ida im Februar 1943 nach Braller. Bei lieben Bekannten fanden wir für einige Tage Unterkunft. Mehrere Frauen aus der „Backes-Gass" standen uns hilfreich bei und so kochten wir in der speziellen Einrichtung, die sich der wohlhabende Bauer Georg Sauer (Sauer Getz) installiert hatte, unsere Rüben.
Es traf sich so, daß wir auch über Sonntag in Braller blieben und da die Pfarrstelle noch nicht besetzt worden war, hielt ich hier den Gottesdienst und taufte dabei auch den kleinen Karli Riedel. Beim Glockenläuten strömten die Leute aus allen Gassen der Kirche zu. Vor der … Wohnung stand Frau … blickte die in ihre schönen Trachten gekleideten Kirchengänger grießgrämig an und forderte sie auf in ihre Wohnung zu kommen, um die Ansprache des Reichsfeldmarschalls Göring zu hören. Doch niemand folgte dieser Einladung. Als nun Frau S. B. aus der Backes-Gass, die auch ein Amt in der Ortsgruppe bekleidete, vorbeiging


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schrie Frau … diese an. „Wissen Sie nicht wohin Sie gehören, wenn die Rede des Reichsfeldmarschalls Göring wiedergegeben wird?" Darauf die ruhige Antwort Frau B.. „Heute will ich noch einmal unseren Herrn Pfarrer Ungar predigen hören, die Rede des Feldmarschalls kann ich später auch in der Zeitung lesen!". Frau … , die durch ihre übertriebene Anhängigkeit der neuen Bewegung gegenüber die Dorfbewohner reizte, sollte schon bald einen Denkzettel erhalten. Eines Morgens, als sie ihr Haus verlassen wollte, stellte sie fest, daß man ihre Hausfront mit Ölfarbe beschrieben hatte. Da stand nun in großen Buchstaben „Hier wohnt die größte Pest von Braller. Pest-Luder!" Zorn-und racheentbrannt ließ Frau …. aus Agnetheln einen Fotografen kommen, der die Schandtat fotografierte und erstattete Anzeige. Als verdächtigte Personen gab sie den damaligen Kirchenkurator, den Ortsgruppen-und NSV-Leiter an und mich bezichtigte sie als geistigen Anstifter. Die eingeleitete Untersuchung blieb erfolglos und nie wurden die Täter identifiziert. Bei Frau ….. bewahrheiteten sich die Bibelworte „Irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten! Was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer auf das Fleisch sät, wird vom Fleisch des Verderbens ernten, wer auf Geist sät, wird vom Geist des ewigen Lebens ernten." Rektor … , fiel als Soldat der rumänischen Armee an der russischen Front, Frau ... verließ Braller kurz nach dem Tode ihres Mannes und ließ sich in Agnetheln als … anstellen.
In Maldorf verbesserte sich unsere materielle Lage auffallend. Der größere Parochialbesitz, den ich mit unserem Neffen Erni bewirtschaftete, wobei die Dorfjugend während einiger Saisonarbeiten mithalf, so bei der Weizenernte, sicherte unsere Nahrung und das Futter unserer Haustiere. Dazu kam außer meinem auch Idas Gehalt, den sie als dritte Maldorfer Lehrerin erhielt.
Wir konnten ohne Schwierigkeiten die Kinder in Stadtschulen schicken, um sie für einen intellektuellen Beruf vorzubereiten. Helga, die in Hermannstadt das Untergymnasium (heute Klassen 5-8) beendet hatte, setzte ihr Studium an der Lehrerinnenbildungsanstalt von Schässburg fort. Idi besuchte in Mediasch das Untergymnasium und als Karli die vierte Volksschulklasse beendet hatte, brachte ich auch ihn ins Mediascher Gymnasium. Hier sollte
er im Schülerinternat das von Professor Andreas Kloos geleitet wurde, wohnen. Ich hatte ihm hier sein Bett vorbereitet, seinen Spind eingerichtet und alle sonstigen Formalitäten erledigt und wollte mich am Nachmittag von ihm verabschieden. Da protestierte mein Sohn. Ihm schien hier alles zu eng. Er begann erbärmlich zu weinen und sagte entschlossen „Hä bleiwen ech net". All meine und Idis Überredungskünste, nützten nichts. Karli blieb bei seinem Entschluss. Fast hätte er mich kleingekriegt, doch dann gab ich mir einen inneren Ruck, reichte Karli die Hand, gab ihm einen väterlichen Abschiedskuss und verließ das Internatsgebäude. Alleingelassen und ohne einen Ausweg aus seiner momentanen Lage zu sehen, weinte Karli nicht mehr, gewöhnte sich bald an das neue Schülerleben und hat fortan nie mehr protestiert, im Herbst zur Stadtschule zu fahren.


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Während des Krieges wurden auch die militärpflichtigen Lehrer zum Frontdienst eingezogen. Um den entstandenen Lehrermangel auszuschalten, ermöglichte das Schulamt der Volksgruppe begabten Absolventen der Volksschule (nach der 7. Volksschulklasse) durch ein System von Ausleseprüfungen in die Lehrerbildungsanstalt aufgenommen zu werden. Zu diesen Prüfungen schickten wir auch unseren Neffen Erni. Leider schaffte er die letzte Prüfung in Hermannstadt nicht und blieb auch weiterhin bei uns in Maldorf.
Schon im Spätherbst holte ich meine Sammlung an Weihnachtsliedern und Weihnachtsgedichten hervor, um nach alter Gewohnheit mit den Schulkindern die Feier des Heiligen abends vorzubereiten. Als wir diese Angelegenheit im Presbyterium besprachen, wurde mir gesagt, daß die Geburt unseres Heilandes in Maldorf nicht wie anderswo in Siebenbürgen am Abend des 24. Dezember beim Weihnachtsbaum, sondern in den frühen Morgenstunden des ersten Weihnachtstages beim „Lichtert" - Leuchterchen - gefeiert wurde. Kirchenvater Martin Welther lehnte die Abendfeier mit folgender Begründung ab: „Esi en Feier äs wä e Gärmet" (So eine Feier ist wie ein Jahrmarkt). Also musste ich mich umstellen und schon frühzeitig mit den neuen Vorbereitungen beginnen. Aus dem siebenten Schuljahr, dem letzten der Volksschule, teilten sich sowohl die Jungen als auch die Mädchen in je vier Gruppen „Parten". Diese wiederum wählten sich je einen Partenführer bzw. Partenführerin. Im Hause der jeweiligen Partenführer/innen stellten Kinder und Mütter in der Adventzeit den "Lichtert" her. Dabei verwendeten sie „Best" (weißes Mark des runden Sumpfgrases), „Pappeln" (rote kirschenähnliche Früchte), Papierblumen, Wintergrün und Kerzen. Mit einem ganz besonderen Zeremoniell wurde das Wintergrün aus dem nahegelegenen Wald geholt. An einem der schönen Adventstage gingen die Partenmitglieder, begleitet vom Pfarrer, dem Kurator und den Kirchenvätern, an der Zugspitze die Adjuvanten, die flotte Märsche bliesen, in den Wald. Während die Kinder fleißig Wintergrün sammelten, entfachten die Mitglieder des Kirchenamtes je ein Feuer. An diesem konnten die Sammler ihre kalten Hände wärmen und nach getaner Arbeit den mitgebrachten Speck oder Schweinefleisch am Spieß braten. Gesättigt und froh gelaunt suchte sich jedes Kind einen schönen geraden Stock, band an dessen Spitze ein Sträußchen Wintergrün und rote Papierstreifen und schwang ihn bei der Heimkehr wie ein Fähnchen durch die Luft. Zusammen ging man dann auf den „Kupen" (eine über dem Dorf gelegene Bergspitze) und sang drei Lieder. „Wolkenhöhen, Tannenrauschen…", „In der Heimat ist es schön…" und „Siebenbürgen Land des Segens…". Den Gesang vom „Kupen" hörte die ganze Dorfbevölkerung, denn alle hatten gespannt vor ihren Gassentoren auf diesen Moment gewartet. Manchem Zuhörer wurden dabei die Augen vor Rührung nass, man erinnerte sich an die eigene Kindheit und an so manche schöne Begebenheit aus vergangener Zeit. Waren die drei Lieder verklungen, machten sich die jungen Sänger auf den Heimweg. Vorneweg wieder die


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Adjuvanten, hinter ihnen die kirchlichen Würdenträger und dann die Schüler mit ihrem Lehrer. Der Marsch führte durchs halbe Dorf und endete auf dem Pfarrhof. Hier hielt der Pfarrer eine Ansprache, in der die Bedeutung des Wintergrünsammelns erläutert wurde. Nun waren alle nötigen Materialien für den Lichtert vorhanden. Kinder und Mütter fertigten aus dem Wintergrün kleine Sträusschen, schmückten diese mit Best, Pappeln und Papierblumen und banden sie an die Holzringe des Lichtergestells. Zwischen den Sträußchen wurden zum Schluss noch weisse Kerzen befestigt, die während der Frühmesse den Kirchenraum beleuchteten.
Den weihnachtlichen Frühgottesdienst feierte man in Maldorf am frühen Morgen des 25. Dezember (6 Uhr). An keinem anderen Tag des Jahres war die Kirche so vollgefüllt von Menschen wie am Geburtsfest unseres Heilands. Vom Säugling bis zum ältesten Greis drängten sich die Dorfbewohner familienweise ins Gotteshaus, um die schöne Feier mitzuerleben. Die acht Parten mit ihren Lichtern standen auf den ihnen schon vorher angewiesenen Plätzen, im Chorraum, dem Kirchschiff und auf der Orgelempore. Die Feier begann mit einem Wechselgesang zwischen Knaben und Mädchen. Die Knaben sangen aus dem Gesang je zwei Strophen des Liedes „Lobt Gott ihr Christen, freuet euch…" worauf die Mädchen mit je zwei Strophen des Liedes „Wie soll ich Dich empfangen und wie begegnen Dir…" antworteten. Hervorzuheben ist, daß die Texte des Gesangbuches nicht nach den gewohnten, sondern nach ganz besonderen Melodien gesungen wurden. Danach sang die ganze Gemeinde mit Orgelbegleitung die Lieder „Stille Nacht, heilige Nacht…" und „O, du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit…". Nach der Predigt und Altardienst schloss der Posaunenchor der Adjuvanten die Feier ab. Die acht Lichtert stellte man nach der Frühmesse im Chorraum der Kirche auf, wo sie bis nach Epiphanias (6.Januar) blieben.
Da in diesen Jahren die meisten der wehrplichtigen Männer zum Frontdienst eingezogen waren, empfand ich das Bedürfnis auch mit den abwesenden Gemeindmitgliedern in stetiger Verbindung zu bleiben. Monatlich verfasste ich einen Heimatbrief, in dem ich die letzten Ereignisse unserer Gemeinde schilderte, aber auch Bibeltexte, Sprüche und Trostworte hineinschrieb und schickte ihn an die Maldorfer, die den Waffenrock tragen mussten. Wie dankbar die Heimatbriefe aufgenommen wurden, zeigten die vielen Antwortschreiben der jungen Männer, die an mich gerichtet wurden.
Der an allen Fronten tobende Krieg forderte auch von den Maldorfern Todesopfer. Für die gefallenen Soldaten veranstaltenten wir in unserer Kirche je einen Trauergottesdienst. Die erste Feier dieser Art galt dem jungen Gustav Wagner, dem Sohn unseres derzeitigen Kirchenkurators Lorenz Wagner. Um die Besonderheit der Amtshandlung hervorzuheben, standen während der Feier vier junge Burschen vor dem Altar Ehrenwache. Nach entsprechnendem Eingangslied sangen die Adjuvanten das Lied „Es liegt in fremder Erde, so fern vom Heimatland, ein stiller kleiner Hügel gewölbt von


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Freundeshand…", dann hielt ich die Trauer-und Gedenkrede. Die Gemeinde sang dann ein Trauerlied aus dem Gesangbuch wonach ich der Trauergemeinde den Segen der Kirche erteilte. Zum Abschluss bliesen die Adjuvanten das Lied „Ich hatt' einen Kameraden, einen besseren findst du nicht..". Durch solche Feiern nahm die Gemeinde Anteil an der Trauer der betroffenen Familie und half den Hinterbliebenen, sich über den Verlust der viel zu früh dahingerafften jungen Männer zu trösten.
Helga, die nur in den Ferien zu Hause war, konnte nicht mit ihren gleichaltrigen von Maldorf, wie ortsüblich am Palmsonntag, konfirmiert werden. In Schässburg hatte sie zwar den Konfirmandenunterricht besucht, doch in dem Schuljahr (Kriegsschuljahr) gab es früher als sonst schon Sommerferien, so daß Helga nicht in der Stadt mit ihrem Studienfreundinnen konfirmiert werden konnte. In derselben Situation befand sich auch Hildegard (Puschi), die Tochter meines Bruders Hans. Beide Mädchen konfiermierte ich am 15. Juni 1943 in der Maldorfer Kirche und segnete sie mit folgendem Spruch ein: „Weise mir, Herr, Deinen Weg, daß ich wandle in Deiner Wahrheit. Erhalte mein Herz bei dem einen, daß ich Deinen Namen fürchte".
Bald nach ihrer Konfirmation wurde Helga von der Kreisleitung der „Deutschen Jugend" (DJ) aufgefordert, das Amt einer „Jungmädel-Ringführerin", im Ring Elisabethstadt (dazu gehörten die um Elisabethstadt liegenden Gemeinden) zu übernehmen. Helga erklärte sich bereit, dieses Amt zu übernehmen, wenn ich als Vater das gutheißen würde. Mein Einverständnis gab ich unter der Bedingung, daß Helga in ihrer Jugendarbeit nie eine gegen die Kirche und ihre Pfarrer gerichtete Tätigkeit entfalten dürfte. Das wurde mir versprochen und nie hat sich ein Amtskollege darüber beschwert, daß Helga die Jungmädel vom Gottesdienst oder sonstigen Tätigkeiten ferngehalten habe.
Aufgrund des zwischenstaatlichen deutsch-rumänischen Abkommens vom 12. Mai 1943 konnten wehrpflichtige Volksdeutsche aus Rumänien die das 17. Lebensjahr erfüllt hatten, freiwillig in das deutsche Heer aufgenommen werden. Hatte die Volksgruppenleitung schön vorher um Freiwillige geworben, behauptete sie nun es sei Pflicht jedes Deutschen, die rumänische Armee zu verlassen und den deutschen Waffenrock anzuziehen. Sie verstärkte den moralischen Druck dermaßen, daß sich kaum ein junger Mann weigerte, sich der Musterung zu stellen. So geschah es auch in Maldorf. Auch hier folgten die jüngeren von der neuen Bewegung begeisterten Männer freiwillig dem Aufruf, die älteren dagegen betrachteten die Angelegenheit als reine Pflichterfüllung. Bald nach der Musterung wurden die Wehrfähigen eingezogen. Am letzten Nachmittag vor der Abreise lud ich alle Gemeindmitglieder zu einem Abendmahlsgottesdienst ein. Familienweise traten sie an den Tisch des Herrn, so viele waren es, daß sich die Feier bis in die Abendstunden verlängerte und ich erst beim Licht der Petroleunlampen den Segen erteilten konnte.


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Am nächsten Morgen nahm das Händeschütteln kein Ende, alle ausziehende Männer empfingen von mir die herzlichen Glück-und Segenswünsche, leider sollte es für viele ein Abschied für immer werden. Blumengeschmückte Pferdewagen brachten die Männer zum Bahnhof, wo eigens vorbereitete Güterwagen auf sie warteten. Nach Dörfern geordnet fuhren unsere Männer ins „Reich", von wo sie nach kurzer Ausbildung in Waffen- Einheiten (vorwiegend in den Divisionen Das Reich, Totenkopf, Prinz Eugen, Nordland, vereinzelt aber auch in den übrigen 34 Waffen- Divisionen) an die verschiedensten Frontabschnitte geschickt wurden.
Die zu Hause gebliebenen Frauen, Alten und Kinder mußten nun nicht nur für den eigenen Unterhalt sorgen, sondern auch Sonderabgaben für den Staat leisten. Getreide und sonstige Lebensmittel, aber auch Pferde, Wagen Fahrräder u.a. wurden vom Staat requiriert (beschlagnahmt) und der Armee zur Verfügung gestellt. Die schwere Arbeit, die Lasten des Krieges im allgemeinen, riefen große Unzufriedenheit unter unserer Dorfbevölkerung hervor. Den angestauten Mißmut äußerten die Frauen besonders dann, wenn Amtsträger der Volksgruppe versuchten, sie vom „Endsieg" des Dritten Reiches zu überzeugen und gleichzeitig Geld-oder sonstige Spenden von ihnen für die Gemeinschaft forderten. Zwei Begebenheiten, die zeigen, wie sauer Frauen reagieren konnten, sind mir in Erinnerung geblieben.
1. Als der damalige Unterkreisleiter, H. F., vorher Lehrer in Rode, Schwiegersohn von Pfarrer M. aus Rode, einmal mit seinem Motorrad nach Maldorf gekommen war, um einen Vortrag zu halten, rief ihm eine alte Mutter nach: „sie sind auch einer von denen, die unsere Söhne entführt haben. Warum sind Sie als junger Mann zu Hause geblieben? Wir Frauen und Mütten müßten Sie erwischen und in den Bach legen, so wie man Hanf zum rösten einlegt"
2. Eines Tages kam Volksgruppenamtswalter, H. L., ehemaliger Lehrer in Birthälm, nach Maldorf, um einen Vortrag zu halten und anschließend eine „Eintopf-Sammlung" (Geldspende) durchzuführen. Obwohl die Dorfbewohner, schon Tage vorher, von der geplanten Versammlung wußten, waren zum angegebenen Zeitpunkt nur der Ortsgruppenleiter, ich, als ehemaliger Kollege von L. und zwei Frauen im Gemeindesaal erschienen. Der enttäuschte Amtswalter entledigte sich schließlich seiner Aufgabe, hielt einen verkürzten Vortrag und ging dann von Haus zu Haus sammeln. Dabei mußte er sich im Haus des „Simen Hans" (Johann Zikeli) von der alten Frau Elise Zikeli folgenden Vorwurf anhören: „Schämen Sie sich! Sie sind ein junger, lang und gerade gewachsener Lackel und gehen trotzdem hier von Haus zu Haus betteln. Warum sind Sie nicht auch mit unseren Männern und Söhnen in den Krieg gezogen? Die haben Sie ins Verderben geschickt. Sie aber sorgen sich zu Hause auf Ihre eigene Haut".
Meine Arbeit als Verkünder des Wortes Gottes, aber auch jene als Seelsorger, war in dieser Zeit schwieriger als zu Friedenszeiten. Erreichten uns


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die Todesnachrichten der an der Front gefallenen Männer, mußte den Witwen, Waisen und Mütter Trost und Mut zugesprochen werden, oft auch materielle Hilfe zugeführt werden. Alle Gefallenen ehrten wir durch einen Trauergottesdienst. Im Allgemeinen mußte die seelsorgerische Tätigkeit vielfältiger gestaltet werden. Eine neue Aufgabe erwuchs mir durch die Mithilfe bei der Verteilung der Reichsunterstützung, die durch die „Nationalsozialistische Volkswohlfahrt e.V." (NSV) an die Familien der Frontsoldaten ausgezahlt wurde. Meine Mitarbeit bei der NSV wurde möglich, nachdem Martin Schmidt (Mirzelbruder), ein nur bedingter Anhänger der Volksgruppe, aber ein beherzter Lokalpatriot, zum Ortsleiter und auch eine neue Leiterin des Frauenwerks gewählt worden waren. Das Frauenwerk übernahm die Leitung des Kindergartens, in dem die Zöglinge täglich ein warmes Mittagsessen, ein Gabelfrühstück und eine Jause erhielten. Die Frauen sorgten auch dafür, daß die Schüler täglich in der zehn Uhr Pause ein Stück Maismehlkuchen (Mali) erhielten. Da auch die meisten jungen Lehrer zum Militärdienst eingezogen worden waren, mußte nicht nur meine Ehegattin, sondern auch ich selbst den Unterricht in einer Schulklasse übernehmen. Diese Aufgabe erfüllte ich, ohne dafür besoldet zu werden. Auch wollte ich mit den Männern unserer Kirchengemeinde, die sich an der Front befanden, in Verbindung bleiben. Monatlich verfaßte ich einen Heimatbrief und schickte ihn an die Soldaten. Wie sich unsere Männer über die Briefe freuten, ging aus ihren dankbaren Antwortschreiben hervor. Auf diese Weise entwickelte sich ein reger Briefwechsel, den ich mit jenen, die nach Beendigung des Krieges nicht heimkehrten, fortgesetzt habe.
Außerhalb meiner Amtspflichten bewirtschaftete ich auch die dreißig Joch Grund des Parochalvermögens, bei der außer meiner Familie und einer Dienstmagt auch die Dorfjugend mithalf. In Maldorf war jeder konfirmierte Jugendliche von altersher verpflichtet, einen Tag im Jahr auf dem Pfarrgrund zu arbeiten. Jugendliche halfen uns die Ernte einbringen, ebenso bei der Heumahd und bei sonstigen größeren Arbeiten auf dem Feld. Mir aber blieb die Betreuung der Weingärten, besonders das Spritzen gegen Peronóspora. Mit einer Spritze auf dem Rücken, die etwas zehn Liter Kalk und Kupfervitriollösung faßte, ging ich zwischen den Rebstöcken bergauf-bergab und bespritzte deren Blätter. Unsere Kinder halfen mir bei der schweren Arbeit, indem sie die Spritzlösung aus dem großen Faß, das mit dem Wagen in die Nähe des Weingartens gefahren wurde, in Blecheimern zu den betreffenden Rebreihen schleppten und den Inhalt der Spritze neu auffüllten.
Da wir den landwirtschaftlichen Boden selbst bearbeiteten, mußten wir auch Zugtiere halten. Abwechselnd hatten wir Kühe und Büffel, die unser Neffe, der fleißige Erni, betreute. Schon immer hatte ich mich für Schweinezucht und deren Verbesserung interessiert. So kam es, daß ich das „Deutsche Edelschwein" und das weiße „Yorkshire-Schwein" als erster nach Maldorf brachte und dadurch zur Verbesserung der Schweinezucht unseres Dorfes beitrug.


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Die Weihnachtsfeier 1943 stellte uns in Maldorf vor schwierige Entscheidungen. Der Ortsleiter hatte von seinen Vorgesetzten und ich von Bischof W. St. durch je ein Rundschreiben den Autrag erhalten, die Weihnachtsfeier mit „Weihnachtsbaum" in Gemeinschaftsarbeit des Ortsleiters und des Pfarrers vorzubereiten. Dabei sollte sowohl der Pfarrer, als auch der Ortsgruppenleiter je eine Ansprache halten. Nachdem Johann Zikeli (Moser Hans), damals noch Ortsgruppenleiter, das Schreiben erhalten hatte, kam er ganz aufgeregt zu mir, um die Angelegenheit zu besprechen. Zweierlei beunruhigten ihn. Erstens: sollte er den Maldorfer Brauch, Weihnachten zu feiern (Lichtert statt Weihnachtsbaum), ändern? Zweitens: Wie sollte er sich im Gotteshaus vor die festlich versammelte Gemeinde stellen und eine politische Ansprache halten? Auf seine Frage, wie ich die Sache zu lösen gedenke, antwortete ich, daß wir wohl den Auftrag der Obrigkeit durchführen müßten. Weiter ließ mich der Ortsgruppenleiter nicht sprechen, er stellte fest: „Ich bin da ganz anderer Meinung. Die Kirche ist der Ort in dem der Pfarrer zu sprechen und zu dienen hat. Der Ortsgruppenleiter soll dort reden, wo es ihm zusteht, nicht aber unter dem Weihnachtsbaum im Gotteshaus. Stellen Sie sich vor, was dem Moser Hans passieren würde, wenn er das täte. Die Maldorfer würden an der Kirchenpforte auf ihn warten und ihm die Kleider vom Leibe reißen. Und wegen dem Bericht, den wir nachher schreiben müssen, machen Sie sich keine Sorgen, Herr Pfarrer. Das Papier duldet alles, darauf kann man schreiben, was man will". Wir einigten uns dann darauf eine Abendfeier beim Weihnachtsbaum zu veranstalten, wobei der Ortsleiter die Festversammlung begrüßen, der Pfarrer aber die Feier gestalten sollte. Am nächsten Morgen wollten wir dann, so wie gewohnt, die Frühmesse, mit den Lichtert abhalten. Wir ließen uns hier nach den Bibelworten leiten „Seid klug wie die Schlange doch ohne Falsch wie die Taube". So erlebten wir auch diesmal die Weihnachtsfeier zur vollen Zufriedenheit der Gemeindemitglieder, des Pfarrers, des Ortsleiters und dessen Vorgesetzten.
Im Sommer 1944 wollte die Kreisleitung das traditionelle jährliche Sportfest, bei dem sich die schul-und konfirmierte Jugend der Dörfer Hohndorf, Maldorf, Rode, Kleinalisch, Kleinlassen, Irmesch, Johannisdorf und Reußdorf im „Zenkendol" trafen (Zinkental ein Plateau zwischen obengenannten Dörfern gelegen, das als Viehweide benutzt wurde), zu einem Volksfest erweitern und als Propagandamanifestation auswerten. Da „hoher" Besuch erwartet wurde - der Volksgruppenführer A. Sch. und andere hohe Amtswalter, sollten an dem Fest teilnehmen- , schenkte die Mediascher Kreisleitung der Vorbereitung große Aufmerksamkeit. Eine Menge Hakenkreuzfahnen wurden mit Autos gebracht, eine prunkvoll Rednerbühne wurde aufgebaut, Sportplätze wurden markiert, Linien für das gemeinsame Schauturnen gezogen und auch sonstige organisatorische Maßnahmen getroffen. Die Jugend sollte, ihrem Alter entsprechend, in Uniform antreten und Helga, meine Tochter, als heimische Ringführerin, sollte dem Volksgruppenführer

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Meldung über den Beginn des Festes erstatten.
Das Jugendfest im Zenkendol fand am Sonntag, den 20. August 1944 statt. Die Pimpfe, die Jungmädel und die Mitglieder der DJ aus obengenannten Dörfern waren vollzählig erschienen, mit ihnen auch ihre Lehrer, Familienangehörige und eine große Menge Schaulustiger von nah und fern.
Der von alten Eichen und einem Fahnenmeer umgrenzte Platz, an dessen Schmalseite man die Tribüne aufgebaut hatte, lag inmitten einer kleinen Senke. Die sanft ansteigenden Hänge, an denen sich die Volksmenge gelagert hatte, erweckten den Eindruck, man befände sich in einem Amphitheater. Die angereiste Prominenz war von dem Gesamtbild, den Naturschönheiten dieses Fleckens Erde, der uniformierten Jugend und der in Volkstracht erschienenen Dorfbevölkerung tief beeindruckt. Besonders der deutsche General, der stellvertretend für A. Sch. gekommen war, äußerte seine Begeisterung mit anerkennenden Worten.
Das Fest eröffnete Helga, indem sie dem General Meldung erstattete. Danach sangen die Chöre der einzelnen Gemeinden und anschließend die vereinigten Chöre der anwesenden Jungend. Bei so viel Harmonie war es nur natürlich, daß die Herzen höher schlugen und man sich in dieser Gemeinschaft wohlfühlte. All das kam auch in den Festreden, die der General und die Vertreter der Landes-und Kreisgruppe hielten, zum Ausdruck. Die Redner propagierten auch hier noch den deutschen „Endsieg", obwohl sie wußten, daß die rote Armee an der Grenze Rumäniens stand und unaufhaltsam weiter nach Westen vordrang. Nach dem festlichen Teil fand ein Schauturnen statt, an dem sich sowohl das Jungvolk als auch die DJ beteiligte. Schließlich traten die Leichtathleten der teilnehmenden Gemeinde zu individuellen Sportwettkämpfen an. An diesem Tag gewannen die Siegerehrungen ganz besondere Bedeutung, denn die Diplome und Auszeichnungen wurden den ehrgeizigen Gewinnern von den prominenten Gästen überreicht.
Während des Festes führte der Wehrmachtsgeneral auch mit Helga ein Gespräch. Unter anderem fragte er das junge Mädchen, ob sie einen besonderen Wunsch hätte. Ohne lange nachzudenken erklärte ihm Helga, daß sie gerne einmal nach Deutschland fahren möchte, um die dortigen Verhältnisse und die Tätigkeit der Jugend kennenzulernen. Der General versprach Helga, sich darum zu bemühen, ihren Wunsch baldmöglichst zu erfüllen. Leider änderte sich die politische Lage viel zu rasch und nicht nur dieses Versprechen allein sollten in den Wirren der Zeit nicht mehr erfüllt werden können.
Am späten Nachmittag, nach Abschluß des Festes, lud Helga ihre Mitarbeiterinnen zu einem Gespräch ins Pfarrhaus ein. Unter den Mädchen befand sich auch die Tochter des Mediascher Tierarztes und Professors an der Ackerbauschule, Dr. M. B. in der Absicht, seine Tochter abzuholen, kam Dr. B. auf den Pfarrhof und wir unterhielten uns noch eine Weile. Da ich beabsichtigte, meinen Neffen Erni auf eine Ackerbauschule


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zu schicken, erkundigte ich mich nach den Aufnahmebedingungen in diese Schulanstalt. Im Gespräch unterstrich ich die Bedeutung, die der Landwirtschaft zukomme „wenn" wir den Krieg gewinnen sollten. Das „WENN" regte Dr. B. dermaßen auf, daß er zornerfüllt ausrief: „Wie, Herr Pfarrer, Sie zweifeln an dem deutschen Sieg" Der Krieg i s t gewonnen." Alle meine Einwände halfen nichts. Dr. B. blieb bei seiner Meinung, holte schleunigst seine Tochter, äußerte noch die Enttäuschung darüber, in mir einen Zweifler am deutschen Endsieg gefunden zu haben, verließ unser Haus, bestieg sein Auto und fuhr zornig davon. Es sollte nur noch ein paar Tage dauern, bis auch Dr. B. von der Wirklichkeit eingeholt werden sollte.
Am frühen Morgen des 24. August 1944 wurde ich durch lautes Klopfen an unserer Haustür geweckt. Ortsleiter, Martin Schmidt (Mirzelbruder), der sonst ruhige und beherrschte Mann, wirkte sehr aufgeregt, als er mir mitteilte, was er am Vorabend in den Radionachrichten gehört hatte. Die Regierung Antonescu war gestürzt worden, Rumänien habe seinen Austritt aus der Hitlerkoalition erklärt und dadurch den Zusammenbruch eines wichtigen Frontabschnittes der Ostfront verursacht. Nicht nur an der Front, sondern auch untern den in Rumänien stationierten deutschen Truppen brach Panik aus. Überrascht durch die Ereignisse waren auch die Amtswalter der Deutschen Volksgruppe Rumäniens, die nun nicht mehr wußten, wie sie sich verhalten sollten. Man hoffte, daß die deutsche Armee den „Putsch" niederschlagen und die „alte Ordnung" wiederherstellen werde. Doch es kam anders. Die Rote Armee drang ins Landesinnere und versuchte mit Hilfe einiger rumänischen Verbände die deutschen Truppen gefangenzunehmen. Es begann ein ungeordneter Rückzug der deutschen Truppen und gleichzeitig der Aufbau einer neuen deutschen Front im Innern des Karpatenbogens. Die neue Front sollte entlang der durch den Wiener Schiedsspruch (1940) geschaffenen rumänisch-ungarischen Grenze aufgebaut werden. Inzwischen war Rumänien an der Seite der antihitleristischen Koalition in den Krieg gegen Deutschland eingetreten. Nicht nur die deutschen Soldaten, sondern auch alle „faschistischen Kräfte" Rumäniens, d.h. auch alle Amtsträger der Deutschen Volksgruppe wurden ab sofort als Feinde gejagt, verhaftet und in Internierungslager gesteckt. Die gesamte deutsche Bevölkerung wurde als staatsfeindliche Gruppe betrachtet, weswegen ihr die neue Staatsführung das Vertrauen entzog. Kein Deutscher durfte mehr im Besitz von irgendwelchen Waffen und Radiogeräten sein, ja sogar die Fahrräder mußten bei den Ortsämtern abgegeben werden.
Der Frontenwechsel Rumäniens hatte auch in Maldorf Verunsicherung, bei vielen sogar Angst hervorgerufen. Ortsleiter Martin Schmid und auch der Ortsleiter von Hohndorf, Predigerlehrer Josef Hutter, waren verhaftet und an einen damals noch unbekannten Ort gebracht worden. Erst nach längerer Zeit hörten wir, daß sich beide in Tirgu-Jiu, zusammen mit anderen ehemaligen Amtswaltern der Volksgruppe, in einem Internierungslager befänden.


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Die gesamte sächsische Bevölkerung Maldorfs mußte sich beim Gendarmerieposten von Rode in eine Sonderliste eintragen lassen und versprechen, den Ort nur nach vorheriger Meldung zu verlassen. All das galt als Sondermaßnahme, weil wir uns so nahe an der ungarischen Grenze befanden (etwa 15 Km). Die derzeitige rumänisch-ungarische Grenze lief entlang der Kleinen Kokel, an deren nördlichem Ufer sich deutsche Soldaten sammelten, um eine neue Front aufzubauen. Von Elisabethstadt, wo sich rumänische Truppen befanden, schickte man Kundschafter aus, die die Lage an der Grenze beobachten sollten. Dasselbe taten auch deutsche Spähtrupps, die bis nach Rode vordrangen. Eines Tages faßten die Deutschen in Rode einen verdächtigen Reiter, es war ein verkleideter rumänischer Soldat und erschossen ihn. Danach griffen sie den Gendarmerieposten an, wo sich etliche Rumänen aus Rode versammelt hatte, unter ihnen auch der Lehrer Gh T. Mit Handgranaten zerstörten die deutschen Soldaten den Amtssitz der Gendarmerie und schossen hinter den flüchtenden Rumänen, denen es nur mit Mühe gelang das tiefe Bachbett zu erreichen und in seinen Schutz talaufwärts zu fliehen.
Dieses Ereignis bedeutete den Beginn der Kriegshandlungen in unserer Gegend. Von Elisabethstadt aus beschoß die rumänische Armee über unsere Köpfe hinweg Rode, Gott sei Dank ohne größeren Schaden anzurichten. Man erzählte, daß deutsche Soldaten sich in der Kirchenburg von Rode verschanzt hätten und auf dem Kirchturm Maschinengewehrstellungen eingerichtet hätten. Dieses Gerücht führte dazu, daß eines Tages auch bei mir in Maldorf eine rumänische Kampfgruppe erschien und mich aufforderte, mit ihnen in die Kirche zu gehen. Vor den Eingängen zur Kirche stellte der kommandierende Leutnant Maschinengewehrschützen auf, die übrigen Soldaten drangen in den Kirchenraum und suchten in jeder Ecke nach deutschen Angreifern. Da sich die Soldaten überzeugt hatten, daß in der Kirche keine feindlichen Kräfte versteckt waren, zogen sie erleichtert vom Pfarrhof ab.
In den ersten Septembertagen 1944 fuhren deusche Spähtrupps durch die in der Nähe der Grenze gelegenenen sächsischen Dörfer Nadesch, Zuckmantel, Maniersch, Felldorf, Zendersch und Rode und forderten die Bevölkerung auf sich auf ungarisches Territorium zu flüchten, weil hier in kürzester Zeit, Kamfhandlungen geplant seien. Panikartig begann die Flucht. Einige der Dorfbewohner, die auf ihren abgelegenen Feldern gewesen waren und später vom Evakuierungsbefehl erfahren hatten, schlossen sich den Flüchtenden ohne jegliches Gepäck, in der Hoffnung an, schon nach kurzer Zeit nach Hause zurückkehren zu können. Leider kam es anders. Wie wir heute wissen, gelangte der Flüchtlingsstrom über Neumarkt (Tirgu-Mures) immer weiter nach Westen, durchquerte unter schwierigen Bedingungen Ungarn, gelangte bis nach Österreich, von wo ein Teil, und zwar der, der von den Sowjets überrannt worden war, zur Heimkehr gezwungen wurde. Wieviel Not und Entbehrungen die armen Menschen auf der Flucht während den Herbst-und Wintermonaten 1944/45


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erleiden mußten, wissen nur die Betroffenen selbst. In Rode blieben nach der Flucht von den über 1200 sächsischen Einwohnern nur 76 Menschen zurück, darunter Alte, Kranke und jene, die während der überstürtzten Räumung des Dorfes vereinzelt auf ihren Grundstücken gearbeitet hatten und die nicht mehr vom allgemeinen Vorhaben benachrichtigt worden waren.
Bis nach Maldorf waren in jenen bewegten Tagen keine deutschen Soldaten vorgedrungen, also wurden wir auch nicht zur Flucht aufgefordert. Von entgegengesetzter Seite kamen zuerst rumänische Truppenteile in unser Dorf, dann Verbände der in der Sowjetunion aus rumänischen Freiwilligen gebildete Division „Tudor Vladimirescu", die unter russischem Kommando stand und deren Soldaten sich durch Gewalttätigkeiten besonders auszeichneten (Tudor Vladimirescu war 1821 Leiter eines Aufstandes, der sich die Beseitigung der türkischen Oberhoheit über die Walachei zum Ziel gesetzt hatte. Man benützte nun den Namen des rumänischen Freiheitskämpfers, um anzudeuten, daß Rumänien nun seine Unabhängigkeit gegenüber Hitlerdeutschland erringen müsse). Angehörige der Armee zwangen unsere Bauern, ihnen kostenlos Lebensmittel, Getreide, Federvieh, Schweine, Hornvieh ua. abzugeben.
Da wir nicht wußten, welche weiteren Ereignisse auf uns warteten, bereiteten auch wir alles vor, um bei eventuellen Kampfhandlungen das Dorf verlassen zu können. Wir beluden unseren Büffelwagen mit Lebensmitteln, Kleidern, Decken und was man sonst noch für das Leben auf der Flucht braucht und hätten im Notfall rasch losfahren können. Dasselbe taten auch die übrigen Dorfbewohner. Bei einer Beratung mit älteren Männern, teilte ich diesen mit, daß ich entschlossen sei, das Pfarrhaus nur bei äußerster Gefahr zu verlassen und wenn, dann nur gemeinsam mit allen Gemeindemitgliedern. Mein Entschluß wurde gutgeheißen und alle versprachen auf das Abfahrtszeichen zu warten.
Dann aber besetzten Soldaten der „Tudor-Vladimirescu-Division" Maldorf. Alle Dorfbewohner verpflichtete man Armeeangehörige in ihren Häusern aufzunehmen. Im Pfarrhaus sollten die ranghöchsten Offiziere untergebracht werden. Da man schon viel Unangenehmes über diese Truppe gehört hatte, warteten wir gespannt auf unsere „Gäste". Der nebelige Herbsttag verging, es wurde dunkel, die Nervosität erfaßte alle Familienangehörige, einschließlich Erni und die Dienstmagd Mariechen, doch die Uniformierten erschienen nicht. Erst am späten Abend ächzten, die zum Pfarrhaus hochführenden Holztreppen unter den schweren Soldatenstiefeln. Nach energischem Klopfen an die Haustür traten vier feldmäßig gekleidete Offiziere ein. Es war ein Oberstleutnant, Kommandant der rumänischen Truppe, ein russischer Major (ein Rumäne aus der Moldauischen Sozialistischen Sowjetrepublik, dem ehemaligen rumänischen Bessarabien) als Verbindungsoffizier und Dolmetscher, ein rumänischer Hauptmann und ein rumänischer Oberleutnant. Nach kurzer Begrüßung führte ich die Offiziere in ihr Zimmer, wo sie mit mir ein Gespräch führten. Unter anderem wurde ich


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nach meinen Erfahrungen mit deutschen Soldaten gefragt und ob ich von diesen auch bedroht worden wäre. Als ich das verneinte, wollten sie wissen, ob es mir gefallen habe als die deutschen Armeen vor Stalingrad (heute Wolgograd) standen und ob ich zur Zeit traurig darüber sei, daß die Deutschen an allen Fronten zurückgeschlagen würden. Ich erklärte ihnen, daß ich die Ereigniss bewußt wahrnehme und die Umstände, die sie hervorrufen, akzeptiere. Das Gesprächsthema änderte sich, als mein Töchterchen Helga ein Tablett mit Gläsern und einem hochtgradigen „Pelsenpali" - Pflaumenschnaps vor die Offiziere hinstellte und sie zum Trinken aufforderte. Der Hauptmann behauptete, aus einer gläubigen Familie zu kommen, doch könne er selbst nicht an Gott glauben, da er ihn noch nie gesehen habe, folglich auch nicht wisse, ob es ihn überhaupt gäbe. Er glaube nur an die Natur und das, was er sähe. In langem Gespräch, dem die anderen Offiziere aufmerksam zuhörten, wies ich auf die Geheimnisse der Natur hin, deren Entstehung und Wirkung uns auch unsichtbar seien, die aber als Spuren, die uns zu Gott, dem Schöpfer der Natur, hinführen, angesehen werden müßten. Nach dem besinnlichen Gespräch, das ich mit der Bitte abschloß, Gott möge uns auch in dieser Nacht in seine Obhut nehmen, begaben wir uns zur Ruhe.
Am nächsten Tag machten die Soldaten einen Vorstoß bis Rode, ohne auf irgendwelchen Widerstand zu stoßen. Aus dem verlassenen Dorf brachten sie reiche Beute mit. Hornvieh, Schweine, Geflügel, Weinfässer, Gemüse und sonstige Lebensmittel übergab man der Feldküche, Kleidungsstücke wie gestickte Kirchenpelze, Mardhüte und sonstige Prachtexemplare der Roder Kirchentracht blieben in Besitz der Soldaten. Zur Teilnahme am Festmahl, das die Feldküche für den Abend vorbereitet hatte, luden mich die Offiziere auch ein. Mit gemischten Gefühlen setzte ich mich zu Tisch. Eine ausgelassen fröhliche Stimmung, bedingt auch durch den Genuß des guten Roder Weines, breitete sich aus. Plötzlich rief mir der russische Major, die Aufforderung zu, die Einheit als Feldgeistlicher zu begleiten. Kalter Schauer durchfloß meinen Körper, der Schreck verschlug mir die Sprache. Dann aber raffte ich mich auf und gab zu bedenken, daß ich als evangelisch-lutherischer Geistlicher in dieser Einheit wohl nicht der Richtige sei, weil hier keine Angehörige dieser Konfession seien. Der Oberleutnant, der wohl etwas von meiner Nervosität gemerkt hatte, beruhigte mich, indem er mir mitteilte, daß es in der Einheit schon Feldgeistliche gäbe. Die Zurufe der beiden Offiziere hatten bei der Truppe lautes Gelächter ausgelöst.
Unser Dorf blieb wochenlang besetzt. Da die jeweiligen Kommandanten im Pfarrhaus wohnten und ich in gutem Verhältnis zu ihnen stand, erlaubten diese mir, die Gottesdienste regelmäßig abzuhalten. Zwar durften keine Glocken geläutet werden, was militärisch-strategisch begründet wurde, doch andere Einschränkungen diktierten uns die Kommandanten nicht. Im Allgemeinen muß gesagt werden, daß die Armeeangehörigen, außer den Requrierungen und die durch Einquartierung hervorgerufenen Unannehmlichkeiten, keinen von uns auf besondere Art bzw. gezielt belästigt haben.


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Als die Front nach Westen verlegt wurde, zogen die Soldaten ab. Der bäuerliche Alltag kehrte wieder ein, die Felder wurden bestellt und die Herbstsaat ausgestreut. Wir alle gingen den gewohnten Beschäftigungen nach, doch eine gewisse Unruh, manchmal sogar Angst, begleiteten uns ständig. Angst hatten wir unserer Männer wegen, die nun durch fremde Heeresmacht von uns getrennt waren, aber auch vor unserer eigenen Zukunft, da man uns als „Kollaborateure Hitler-Deutschlands" einstufte und die staatsbürgerlichen Rechte entzog.
Die Volksgruppenleitung hatte in den letzten Jahren viele unserer sächsischen organisatorischen Strukturen zerstört und von sich behauptet, alleinige Verantwortung für die Geschicke der Deutschen Rumäniens zu tragen. Nachdem Rumänien nun die Fronten gewechselt hatte, brachten sich die höheren Funktionäre der Volksgruppe durch Flucht in Sicherheit, andere wurden in rumänische Konzentrationslager eingesperrt und so blieb unser kleines Völkchen für kurze Zeit ohne verantwortliche Vertreter und Richtungsweiser.
Auch in der Kirchenleitung gab es gleich nach dem Umsturz 1944 Veränderungen. Der der Volksgruppenleitung nahestehende Bischof W. St. legte im August sein Amt nieder und ermöglichte so die Rückkehr des 1941 aus dem Bischofsamt verdrängten Viktor Glondys. Zusammen mit dem damaligen Landeskirchenkurator Dr. Hans Otto Roth, der von der Volksgruppe 1941 aus seinem politischen Ämtern verdrängt worden war, übernahm die evangelische Landeskirche wieder die Leitung unseres Sachsenvölkchens. Es gelang der Kirchenleitung die sächsischen (deutschen) Schulen Siebenbürgens wider unter Kirchenaufsicht zu stellen und vorerst ohne staatliche Genehmigung den Unterricht im Schuljahr 1944/1945 zu beginnen. Auch versuchte Dr. Hans Otto Roth die „Volksgemeinschaft der Deutschen in Rumänien" neu zu gründen, weswegen er Verhandlungen mit der neugegründeten rumänischen Regierung (Sanatescu) führte. Dazu kam es leider nicht, im Gegenteil , alle deutschen Organisationen in Rumänien wurden gesetztlich verboten.
Der Herbst verging ohne daß sich an unserer unsicheren völkischen Lage etwas geändert hätte. Willkürliche Übergriffe rumänischer Beamten, manchmal auch verstreuter Soldaten, mehrten sich, einzelne sächsische Männer und Jungendliche wurden zu Zwangsarbeiten außerhalb des Dorfes für mehrere Tage, ja sogar für Wochen, herangezogen. Gerüchte, die zur Verunsicherung unserer Bevölkerung beitrugen, wurden verbreitet.
Der Winter wurde kalt und trocken. Am frühen Morgen des 15. Januar 1945 verkündete der Dorftrommler, daß sich alle sächsischen Männer im Alter von 15 bis 50 Jahren und die Frauen von 15-45 Jahren sofort im großen Gemeindesaal versammeln sollten. Hier verlas ein Vertreter des rumänischen Gemeinderates die Liste derjenigen Dorfbewohner, die zur „Wiederaufbauarbeit" der im Krieg arg zerstörten Sowjetunion verpflichtet worden seien.


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Auch teilte man den Versammelten mit, was sie an Lebensmitteln, Kleidern, Schuhen und Decken mitnehmen durften. Danach entließ man die Leute, um sich die gefordeten Sachen einzupacken, warnte sie aber, Fluchtversuche zu unternehmen, denn das Dorf sei von russischen Soldaten, Gendarmen und bewaffneten rumänischen Helfen umstellt, so daß niemand entkommen könnte. Später mußten sich die in den Listen eingetragenen Maldorfer wieder im Saal versammeln, um von hier gemeinsam das Dorf zu verlassen. In dieser Zeit patroullierten bewaffnete Soldaten durch die Gassen, gingen auch in die Wohnungen der Sachsen, überwachten den Stand der Vorbereitungen und trieben die Eingeschüchterten zur Eile an.
Auch das Pfarrhaus wurde streng bewacht, denn von hier mußte ich selbst, unsere 17jährige Tochter Helga, mein 16jähriger Neffe Erni (Ernst Stamp) und die zufällig bei uns weilende 18jährige Nichte Friedel Ungar (Bruder Dolfs zweite Tochter) das Bündel schnüren. Nachdem wir die nötigen Vorbereitungen getroffen hatten, ging unsere ganze Familie in die Kirche. Auf den Stufen des Altars knieend, baten wir den Himmlischen Vater, uns seine Hilfe auch in Zukunft zu gewähren, uns beizustehen und durch die dunkle Zukunft zu geleiten.
Erst in den frühen Morgenstunden des 17. Januar 1945, nachdem sich unsere Häscher zigmal davon überzeugt hatten, daß alle in den Listen vermerkten Dorfbewohner anwesend waren, führte man uns  - es waren 275 arbeitsfähige Frauen und Männer unserer Kirchengemeinde- aus dem Saal. Jungen Müttern, die ihre Säuglinge noch einmal gestillt hatten, nahm man die Kinder und reichte sie den zurückbleibenden Großeltern bzw. Anverwandten. Im Schul-und Saalhof hatten sich alle Älteren bzw. jüngeren sächsischen Dorfbewohner versammelt, um von den Ausziehenden Abschied zu nehmen. Als wir aus dem Saal hinausgedrängt wurden, stimmte ich unseren Glaubens-und Bekenntnischoral „Ein feste Burg ist unser Gott…" an und gleichzeitig begannen die Glocken vom Kirchturm zu läuten. Nicht wissend, was wir singen, versuchten die russischen Soldaten, uns zum Schweigen zu bringen. Doch vergebens, weinend sangen wir den Choral zu Ende. Dann luden wir unsere Habseligkeiten auf Wagen, bildeten eine Kolonne und marschierten von den Bewaffneten eskortiert ab. Es sah aus als ob besiegte Soldaten in Gefangenschaft geführt würden. Wenn wir auch keine Soldaten waren, in Gefangenschft wurde wir trotzdem geführt. Unsere Kolonne wurde von den Angehörigen bis weit auf Hohndorfer Hattert, bis zur „Epeschdiefer Hill" (Elisabethstädter Berg), begleitet. Auch meine liebe Frau mit unseren beiden kleineren Kindern Idi und Karli gingen in dem „Trauerzug" mit und mußten schließlich schweren Herzens von uns Abschied nehmen. Müde und frierend kamen wir nach dem etwas 12 Km langen Fußmarsch in Elisabethstadt an. Unterwegs hatte ich eine junge Frau aus Rode, die ihr kleines Kind bei den Großeltern zurückgelassen hatte und die ihren Schmerz durch unaufhörliches Weinen äußerte, zu trösten versucht. Das war dem russischen Feldwebel, dem Kommandanten unserer Kolonne aufgefallen. Er ließ mich zu


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sich rufen, wollte wissen was ich mit der Frau gesprochen hätte und verbot mir, mich hinfort um Angelegenheiten anderer zu kümmern.
In Elisabethstadt hatte man das große Gymnasialgebäude als Sammelstelle der zu Deportierenden eingerichtet. Von den schon wartenden Wagen nahmen wir unser Gepäck und traten in den von Soldaten bewachten Hof. Hier traf ich zufällig den Gendarmerie-Sektionschef, der mir von früher bekannt war. Dieser fragte mich verwundert, warum ich denn hier sei. Ich dachte, der Herr wolle mich verhöhnen und antwortete gereizt, daß er schon wisse, warum alle Sachsen hier seien. Der Mann blieb trotzdem ruhig und erklärte mir, daß Pfarrer nicht in die Sowjetunion deportiert würden. Diese Aussage sollte mein Verhalten in den folgenden Tagen bestimmen.
Einzeln traten wir dann vor eine Kommission. Russische Offiziere trugen unsere Namen, das Geburtsdatum, den Beruf und den Wohnort in große Register ein und verteilten uns auf verschiedene Räume des Gymnasiums. Zusammen mit Erni kam ich in einen großen Raum, in dem sich außer Malderfer auch Männer aus Hohndorf, Johannisdorf und Irmesch befanden.In unserem Raum waren etwa hundert Burschen und Männer untergebracht. Helga und Friedel kamen in den Turnsaal, der sich im Erdgeschoß des Gebäudes befand. Verheiratete Paare blieben hier noch in einem gemeinsamen Raum.

Unter den im Gymnasium wartenden Männern befanden sich auch meine Amtsbrüder Andreas Ligner aus Pruden und Hans Feifer aus Kleinalisch. Diesen erzählte ich, was mir der Gendarmerie-Sektionschef gesagt hatte. Beide Kollegen nahmen die Nachricht, daß Pfarrer nicht nach Rußland verschleppt würden, mit Bestürzung auf, denn wohlwissend, daß die Kommunisten Pfarrer verfolgen bzw. mißhandeln, hatten sie sich als Bauern in die Listen eintragen lassen. Schleunigst begaben sich meine Kollegen von neuem vor die Kommission und erklärten ihren tatsächlichen Beruf.
In unserem Raum befanden sich auch kranke und körperlich behinderte Männer. Von diesen erstellte ich eine Liste - es waren 36 Männer- und übergab sie der Kommission mit der Bitte, die Kranken freizulassen. Ein einziger der Maldorfer Flickschuster Michael Weber, dessen Beine durch Kinderlähmung entstellt waren, durfte nach Hause zurückkehren.
Mehrere Male am Tag besuchte ich Helga und die im Turnsaal untergebrachten Frauen, um sie zu trösten und ihnen Mut zuzusprechen. Am dritten Morgen, als ich den Raum betrat, rief mir Helga zu, daß Regina Weber, eine junge Frau aus Maldorf, vergangene Nacht einem Mädchen das Leben geschenkt haben. Regina und ihr Töchterchen wurden am selben Tag aus der Sammelstelle entlassen.
Täglich brachten uns ältere Frauen aus Elisabethstadt eine warme Suppe ins Sammellager. Duch diese Frauen konnten wir auch Nachrichten an unsere Angehörige übermitteln und uns noch manches nachschicken lassen.
Am 20. Januar, es war ein Samstag, ließ mich der Kommandant, ein russischer Major, zu


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sich rufen. Um mich einzuschüchtern, warf er mir vor, die Sowjetsoldaten als Mörder bezeichnet zu haben, auch hätte ich Unwahrheiten über die Sowjetunion verbreitet. Meine Antwort, die ihm der Dolmetsher übersetzte, hörte er kaum an. Schließlich sagte er zu mir, ich solle meine Sachen nehmen, nach Hause gehen, mich nur um die Bibel, d.h. um meinen Beruf als Seelsorger kümmern und jede Art von Propaganda melden. Benommen von diesem Befehl hastete ich ins Zimmer, nahm mein Bündel, verabschiedete mich von Erni und den Männern, dann von meiner lieben Helga, von Friedel und auch den Frauen im Turnsaal. Sowohl Männer als auch Frauen äußerten sich zufrieden über meine Entlassung, denn, so behaupteten sie, erhielten die in Maldorf zurückgebliebenen Alten und Kinder einen verläßlichen Helfer, Betreuer und Seelsorger in der schweren Zeit, die uns alle erwartete.
Die Pfarrerkollegen Lingner und Feifer waren schon vor mir entlassen worden.
Es war Mittag als ich das Gebäude des Gymnasiums verließ. Vom Turm der refomierten Kirche erklang Glockengeläut und ich dankte Gott für die wiedergeschenkte Freiheit. Frau Holle schüttelte an diesem Tag fleißig ihre Federbetten, der Schnee fiel in Massen, als wolle er das gesamte Leid,das uns Sachsen widerführ, zudecken.
Daß ich tagelang meine Kleider nicht ausgezogen hatte, sah man ihnen an. Auch die Körperpflege hatte ich unter den gegebenen Bedingungen vernachlässigt. Mein Bart war nicht nur gewachsen, sondern sah auch unordentlich aus. Zuerst ging ich zum Friseur und ließ mir Bart und Haare schneiden. Dann ging ich zur Apotheke und bat Herrn Fritz Salzer, dessen alter Kunde ich war, all jene Medikamente für meine Kinder einzupacken, die sie auf ihrer langen Fahrt nach Rußland brauchen könnten. Danach bat ich eine der Frauen, die den Lagerinsassen Suppe trugen, Helga das Päckchen mit den Medikamenten zu übergeben.
Zusammen mit zwei Frauen aus Hohndorf, die man auch entlassen hatte, machten wir uns am späten Nachmittag auf den Heimweg. Nicht nur der Kummer um unsere im Lager zurückgelassenen Angehörigen, sondern auch der tiefverschneite Weg und die immer noch dicht fallenden Schneeflocken ließen uns den Weg unendlich lang erscheinen. Als wir die Abkürzung zur Hulla hinaufstiegen, erklang aus den Kurven des Fahrweges zweistimmiger Gesang. Wehmütig lauschten wir dem Lied. „Es blühen Rosen, es blühen Nelken, es blüht ein Blümelein, vergiß nicht nicht mein…". Auf dem Berggipfel angelangt trafen wir die Sänger, ein älteres Ehepaar aus Kleinalisch, das auf einem Pferdewagen Lebensmittel, Kleider und Decken für die „Rußlandfahrer" nach Elisabethstadt gebracht hatte und nun traurig heimkehrte.
Am späten Abend, etwa 22 Uhr, klopfte ich an die verschlossene Tür des Maldorfer Pfarrhauses. Erschrocken öffnete mir meine liebe Frau. Sofort eilten auch Idi und Karli herbei. In meinen beschneiten Kleidern, müde von dem beschwerlichen Fußmarsch, aber auch von den in Spannung verbrachten Tagen und Nächten im Sammellager von


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Elisabethstadt, sah ich anders als vorher aus, so daß meine Lieben sich erst an den Anblick gewöhnen mußten. Wir saßen still beisammen und wußten nicht, ob wir uns über meine Heimkehr freuen, oder wegen Helgas Verschleppung weinen sollten. Dann aber falteten wir die Hände, dankten Gott für meine Befreiung und empfahlen Helga und alle ihre Leidensgenossen seinem väterlichen Schutz. Wie es sich später herausstellen sollte, war es richtig gewesen, daß ich auch ohne Helga heimkehrte, denn schon auf dem Transport nach Rußland trennte man die Geschlechter, die Frauen gelangten in den Donbass (Ukraine), während die Männer in den Ural geführt wurden.
Nächsten Morgen, es war ja Sonntag, riefen die Glocken zum Gottesdienst. Welch trauriger Anblick bot sich uns da. Nur alte Menschen und unmündige Kinder saßen auf ihren gewohnten Plätzen in der Kirche. Leere Bänke, in denen sonst die Mägde, die jüngeren Frauen, die Burschen und Männer gesessen hatten, starrten uns an. Manch Seufzer und unterdrücktes Schluchzen war zu hören, der Kummer und das tiefempfundene Leid über den Verlust der Familienmitglieder hatten sich tief in die runzeligen Gesichter der alten Mütter und Väter gegraben. Ein kurzes Aufleuchten der Augen und ein zufriedenes Raunen durchlief die Reihen, als ich unterwarterter Weise den Kirchraum betrat. Zuerst übermittelte ich die Grüße der in Elisabethstadt Verbliebenen, dann berichtete ich kurz über die Atmosphäre und den Gesundheitszustand unserer Leute im Sammellager. Danach sangen wir den Choral „Wenn wir in höchsten Nöten sein…" Als Predigttext hatte ich den 25. Psalm gewählt in dem es heißt: „Nach dir Herr, verlanget mich. Mein Gott ich hoffe auf dich, laß mich nicht zuschanden werden, daß meine Feinde nicht frohlocken über mich…" Auch nachdem der Schlußchoral „Befiehl du deine Wege und was dein Herz nur kränkt…" verklungen war, blieben noch viele Frauen auf ihren Plätzen und flehten Gott an, ihren lieben Angehörigen auf dem Weg ins Unbekannte beizustehen.
Die Zeit schlich dahin, wir wußten nur daß unsere Lieben vom Elisabethstädter Bahnhof in ungeheizten Güterwagen zusammengepfercht, nach Osten, in die Sowjetunion abgefahren waren.
Welche Freude erfaßte uns alle als wir im späten Frühjahr die erste Nachricht von Helga erhielten. Wenn auch nur eine Feldpostkarte, so war es doch das erwünschte Lebenszeichen von unserer Tochter. In dichtgedrängten Zeilen teilte uns Helga mit, daß sie zusammen mit Frauen aus Maldorf und anderen Gemeinden Siebenbürgens, aber auch mit solchen aus dem serbischen Banat, im Arbeitslager 1004 von Tschiasoviar, Raion Stalino, in der Tonerdegrube, die zu einer Ziegelfabrik gehörte, schwer arbeitete. Die Korrespondenz der Lagerinsassen wurde zensuriert, darum konnte manchen über das Lagerleben nur angedeutet, nicht aber kommentiert werden. Sofort beantwortete meine liebe Frau, die gute Mutter, Helgas Karte. Schwierigkeiten gab es nur beim Schreiben der Anschrift, denn das kyrillische Alphabet, das in Rußland verwendet wird, war uns unbekannt. Also setzte sich


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Ida hin und malte mit großer Geduld die russische Anschrift für Helga. Der Brief kam an und Helga konnte den Maldorfer Frauen unsere Grüße übermitteln, aber auch etwas über das Leben der Daheimgebliebenen berichten. Wenn auch in großen zeitlichen Abständen, so pflegten wir in den folgenden Jahren doch einen regelmäßigen Briefwechsel mit unseren lieben Deportierten.
Die zweite Januarhälfte 1945 war schneereich und sehr kalt. Schon in den ersten Kriegsjahren hatte sich der Mangel an der Lederware, besonders an Schuhe, bemerkbar gemacht. Als nun unsere arbeitsfähigen Leute nach Rußland verschleppt wurden, gab man diesen die besten, manchmal sogar die letzten passenden Schuhe der Familie mit auf den Weg. Die Zurückgebliebenen fertigten sich zwar Fußbekleidungen aus verschiedenen Materialien, doch konnten diese der Feuchtigkeit nicht standhalten. Um diesem Mangel abzuhelfen, sprach ich mit Vertretern der Schuhfabriken von Schäßburg und Mediasch, aber auch mit verschiedenen Schuhwarenhändlern. In Elisabethstadt versprach mir Frau Wächter, die Inhaberin des Schuhgeschäfts, zu helfen. Als sie bald darauf eine Warensendung aus Klausenburg erhielt, wurde ich davon benachrichtigt. Ich wiederum vertändigte meine Kirchenkinder, die sich gruppenweise aufmachten, um in Elisabethstadt Schuhe zu kaufen. Den Rumänen von Hohndorf fiel es auf, daß mehrere Maldorfer Sachsen an diesem Tag in die Stadt gingen. Nach dem Zweck ihres Stadtbesuches gefragt, erzählten unsere Leute, daß es bei Frau Wächter Schuhe zu kaufen gäbe und daß ich sie hingeschickt hätte. Am nächsten Tag erschien auf dem Pfarrhof St. C., ein Rumäne, der in Hohndorf etwas galt und machte mir bittere Vorwürfe. Er bezichtigte mich des Chauvinismus und der Rumänenfeindlichkeit, weil ich nur den Sachsen und nicht auch den Rumänen mitgeteilt habe, daß man in Elisabethstadt Schuhe hätte kaufen können. Er wollte nicht wahrhaben, daß die von der Deportation verschonten Sachsen ihr eigenes Schuhwerk an die Verschleppten hatten abgeben müssen und daß sie infolgedessen es eher nötig hatten, sich neue Fußbekleidung zu beschaffen als die Rumänen. Zornig und Drohungen ausrufend verließ er den Pfarrhof. Drohungen riefen mir auch rumänische Frauen nach, als ich am darauffolgenden Sonntag zum Gottesdienst nach Hohndorf ging. Allmählich glätteten sich die Wogen, die Rumänen beruhigten sich und ich kam ohne weitere Unannehmlichkeiten davon.
Die neuen rumänischen Regierungen, die von den Generalen Sanatescu und dann Radescu geführt wurden, blieben nicht lange an der Macht. Am 6. März 1945 bildete Dr. Petru Groza unter Mitwirkung der Kommunisten, eine neue Regierung. Diese erließ am 23. März das Bodenreformgesetz (Dekret-Gesetz Nr. 187/1945), wodurch die Großgrundbesitzer und jene, die mit Hitler-Deutschland zusammengearbeitet hatten, enteignet wurden. Die Rumäniendeutschen enteignete man aufgrund des II. Kapitels, Artikel 3 a des Dekret-Gesetztes, in dem es heißt: „Enteignet werden die Bodenflächen und landwirtschaftlichen Besitztümer jeder Art, die deutschen Staatsangehörigen sowie rumänischen


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Staatsangehörigen, physischen und juristischen Personen, deutscher Nationalität (Volksabstammung) gehören, die mit Hitler-Deutschland zusammengearbeitet haben…". Da wir alle der „Zusammenarbeit" mit dem Dritten Reich beschuldigt wurden, wendete die neue Regierung die Vorschriften des Bodenreformgeseztes riguros an.
Die sächsischen Bauern in Maldorf verloren schlagartig Haus, Hof, Grundbesitz, die landwirtschaftlichen Geräte und den gesamten Viehbestand. Die Häuser, zusammen mit dem landwirtschaftlichen Inventar und dem Vieh, sowie je acht Hektar Ackerland, gab man „armen" rumänischen Bauern. Da es bis zu der Zeit in Maldorf nur wenige rumänische Familien gegeben hatte, sprach man die Gehöfte auch Rumänen von Hohndorf zu. Da immer noch „freier" sächsischer Besitz übrig blieb, brachte man rumänische Bergbauern aus den Westkarpaten (die Motzen) als sogenannte „Kolonisten" ins Dorf. Die neuen „Besitzer" drängten die sächsischen Familien ins Hinterstübchen der Häuser, in Sommerküchen, oder vertrieben sie gänzlich vom Hof. Oft kam es auch zu Mißhandlungen, wobei ältere Sachsen, die versuchten, noch manches von ihrem Hab und Gut zu retten, geschlagen wurden. Die örtlichen Organe, durch die Wirren der Zeit verunsichert, schritten nicht ein, auch dann nicht, wenn Rumänen gegen Gesetze und öffentliche Ordnung bewußt verstießen. Es herrschte allgemeine Willkür und wir Sachsen lebten in Not und Elend. Etwas besser hatten es jene sächsischen Bauern, deren Höfe Rumänen aus Hohndorf zugeteilt worden waren. Diese neuen Eigentümer nahmen zwar alles in Besitz, wohnten aber weiterhin in Hohndorf und setzten die Sachsen als „Mieter" in die nun enteigneten Häuser ein. Im nachhinein kann die Taktik der Hohndorfer als gelungen bezeichnet werden. Während andere durch schlechte Bewirtschaftung alles ruinierten, verwendeten die meisten Hohndorfer den Erlös aus ehemaligen sächsischem Eigentum zum Bau eigener neuer Häuser und Wirtschaftsgebäude. Als dann 1956, durch Dekret Nr. 81, den Sachsen die Wohnhäuser zurückgegeben wurden und die unrechtmäßigen Besitzer ausziehen mußten, lachten sich die „klugen" Hohndorfer berechtigt ins Fäustchen.
Die Abwesenheit unserer arbeitsfähigen Männer und die verschiedenen Pflichtabgaben, die der Staat von unseren Bauern, während des Krieges forderte, trugen einerseits zur Verminderung der landwirtschaftlichen Produktion bei und andererseits zur ungenügenden Versorgung der Zivilbevölkerung mit Nahrungsmitteln. Nach der Enteignung drängte man unsere Bauern in materielle Abhängigkeit. Vielen von ihnen mußten als Tagelöhner bei den neuen Grundbesitzern schuften, andere bearbeiteten Bodenflächen für den vierten Teil der Ernte, wieder andere verdingten sich als Dienstknechte bei den privilegierten neuen Eigentürmen.
Unerklärlich für mich und andere blieb die Tatsache, daß in Maldorf das Parochialvermögen von der Bodenreform ausgeschlossen blieb. Wir konnten dieses Vermögen noch bis 1947 verwalten und zu unserem eigenen, aber auch zum Nutzen einiger notleidender sächsischer Familien verwenden.


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In noch größerer materieller Not als die Maldorfer befanden sich unsere Landsleute aus den Nachbardörfen, die im September 1944 geflüchtet, im Frühjahr 1945 teilweise von den Russen überrannt und im Sommer desselben Jahres in ihre Dörfer zurückgebracht worden waren. Bei der Ankunft im Heimatdorf fanden diese Armen der Ärmsten ihre Häuser von „Kolonisten" bzw. Rumänen der umliegenden Dörfer besetzt und ihr gesamtes Vermögen beschlagnahmt. Viele der Heimkehrer besaßen nur das, was sie auf dem Leibe trugen und das waren oft nur alte Kleider. Da diesen Menschen auch die tägliche Nahrung fehlte, suchten sie in anderen sächsischen Dörfern zeitweiligen Unterschlupf. In Maldorf organisierten wir die Aufnahme mehrerer Familien aus Zendersch. Auf dem Pfarrhof beherbergten wir Frau Reuß mit ihren sechs Kindern und den alten ehemaligen Organisten Johann Frintz. Die siebenjährige Tochter Trinni (Katharina) Reuß blieb etwa sieben Monate bei uns und sorgte später dafür, daß die Freundschaft zwischen uns und der angesehenen Familie Johann Reuß aus Zendersch über Jahre hinaus gepflegt wurde, ja bis heute fortgesetzt wird.
In der ersten Hälfte des Jahres 1945 drängten die allierten Mächte (Sowjetunion, England, USA und Frankreich) die Armee Hitler-Deutschlands immer mehr zurück und zwang sie am 9. Mai 1945 zur bedingungslosen Kapitulation. Die Beendigung des Krieges war auch für uns ein ersehntes Ereignis, bedeutete aber auch die vollständige Entrechtung unseres sächsischen Völkchens, ja der gesamten deutschen Minderheit innerhalb des rumänischen Staates. Die Frage, was aus unseren Männern, die den deutschen Waffenrock getragen hatten, werden sollte, bedrückte uns alle. Sollten die Ehemänner, Väter und Söhne nie mehr zu ihren Familien zurückkehren dürfen? Unsere Zukunft sah düster aus.
Doch auch in dieser schweren Zeit gab es Lichtblicke, die uns mit Gottes Hilfe neuen Mut fassen ließen. Wir alle versuchten durch treue Pflichterfüllung unser Bestes zu tun. Ich als Pfarrer betreute außer meiner Gemeinde auch Hohndorf und Rode. Nach einem sonntäglichen Gottesdienst in Rode erlebte ich einen dieser Lichtblicke, der auch als Beweis rumänischen Edelmutes gewertet werden kann. An genanntem Sonntag ließ mich der diensthabende Gendarmerie-Unteroffizier zu sich rufen. In seiner Amtsstube zeigte er mir die Abendmahlsgeräte der Roder evangelischen Kirchengemeinde und erzählte mir, wie diese in seinem Besitz gelangt seien. Während der Besetzung des Dorfes durch rumänische Soldaten waren etliche auch ins Pfarrhaus eingedrungen, um es zu plündern. Unter anderen Gegenständen hatten die Soldaten auch die Abendmahlsgeräte entdeckt und aus den Kelchen Wein getrunken. Hierbei überraschte sie der Gendarmerie-Unteroffizier und beschlagnahmte die wertvollen Geräte. Nun, so sagte der Unteroffizier, wolle er die Gegenstände wieder dem rechtmäßigen Besitzer übergeben. Aufgrund eines Protokolls übernahm ich das wertvolle Gut und dankte dem Gendarmen für seine edle Tat.

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Da die deutschen Schulen ab September 1944 wieder unter kirchliche Aufsicht gestellt wurden, mußte ich mich auch um den Unterrichtsbeginn an der Maldorfer Volksschule kümmern. Meine Ehegattin und Lehrerin Gerda Wolff, die Tochter von Predigerlehrer Josef Hutter aus Hohndorf, unterrichteten die Klassen der Unterstufe und ich übernahm die Tätigkeit in den oberen Klassen. Alle drei unterrichteten wir monatelang ohne entlohnt zu werden, denn noch fehlte das Geld an allen Ecken und Enden.
So wie früher auch, fiel nach 1944 wiederum den Pfarren die Aufsicht über die Dorfschulen zu. Das Bezirkskonsistorium ernannte einige Pfarrer, untere anderen auch mich, als Kreisschullehrer. Als solcher mußte ich mindestens einmal jährlich die Schulen von Rode, Kleinalisch, Johannisdorf und Reußdorf besuchen und dem Bezirkskonsistorium von Mediasch über die materiellen Bedingungen, über die Qualität des Unterrichts und die Tätigkeit der Lehrer aus den jeweiligen Dörfern berichten. Auch fiel mir die Aufgabe zu, mit den staatlichen rumänischen Schulinspektoren (inspector de Plasa) Verbindung aufzunehmen und zusammen mit diesen die Abschlußprüfungen nach der siebenten Volksschulklasse (die sogenannten „rumänischen Prüfungen" ) zu überwachen.
Daß wir auch ältere Arbeitsweisen wiederzubeleben versuchten, möge ein Referat meiner lieben Ehegattin, das sie 1946 anläßlich einer zweitägigen Pfarrer- und Pfarrerfrauenkonferenz in Mediasch gehalten hat, veranschaulichen.


„Liebe Amtsschwestern und Amtsbrüder!
Als mein Mann mir von der Pfarrerversammlung in Mediasch das Ersuchen brachte, ich solle auf der 2tägigen Pfarrerversammlung in Mediasch am 28. August 1946 ein Referat über unsere neue Frauenvereinsarbeit halten, da durchzuckte mein Herz ein Gefühl. „Frauenverein", dies liebe vertraute Wort erinnerte mich an längst vergangene Zeiten, wo wir noch alles so froh in unserer Arbeit standen und Heilswerte schaffen durften für unsere Familie, für unsere Gemeinde, für unser Volk. Wie war doch jede sächsische Frau bemüht, neben der eigenen Arbeit auch ihren Beitrag für das allgemeine Wohl unseres Volkes zu leisten.
Vor etwas 60 bis 80 Jahren begann die segensreiche Arbeit unserer Frauenvereine mit der Kirchen- und Friedhofspflege. Von Hermannstadt im Jahre 1884 ausgehend, umfaßte sie bald alle unsere Stadt- und Landgemeinden. Immer neue Aufgaben wurden aufgenommen und immer großzügerer und immer schöner durchgeführt. Neben die Kirchen- und Friedhofspflege trat bald auch die Pflege und Erhaltung unseres Volkstums. Das junge neugeborene Leben begleitete die Frauenvereinsarbeit in allen Lebenslagen, von der Wiege in die Bewahrungsanstalt (Kindergarten), in die Schule, in den schönen neuen Saal, wo Eßgeschirr und Eßbesteck, in einigen Gemeinden sogar schöne Tafeltücher, für die Familien-und Gemeindefeste vom Frauenverein zur Verfügung gestellt wurden. Besondere Fürsorge gewährte der Verein den Waisenhäusern, hier versuchte er den armen Kindern die


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fehlenden Eltern zu ersetzen. Daß selbt in der kleinsten Gemeinde am lieben Weihnachtsabend ein schöner Christbaum ertrahlte und vor allem Kinderaugen, aber auch die Augen von manchen Hilfsbedürftigen und Traurigen froh aufleuchten ließ, war selbstverständlich der Arbeit des Frauenvereins zu verdanken. Und wer erinnert sich nicht gerne der Bezirksfrauenvereinsversammlungen mit den schönen Trachtenzügen und Ausstellungen, wo unsere Volkskunst und die schönen alten Trachten neu auflebten und durch geschulte Kräfte dann weiter ausgebaut wurden. Ja, in letzter Zeit wurde sogar dafür gesorgt, daß unseren sächsischen Frauen nicht nur Interesse für Äußerlichkeiten, sondern auch für ihre Weiterbildung durch Freizeiten und Rüstzeiten geweckt wurde. Dabei denke ich in Dankbarkeit an die Tätigkeit der lieben Diakonissenschwestern. Else von Thiesenhausen und Maria von Stuckart, die viele unserer Rüstzeiten leiteten. Der Fürsorge unserer Frauenvereine verdanken viele Kurse, in denen Frauen ausgebildet wurden, ihre Existenz. Hebammen-Säuglingsschwester-, Pflegerinnen-, Bewahrungsanstaltsleiterinnen-, Koch- und andere Kurse standen unter direkter Betreuung der Frauenvereine. Für die von unseren Vorfahren geerbten ehrwürdigen Gotteshäuser spendeten Frauenvereine Kirchenglocken, ließen Orgeln reparieren, stickten Altar-und Kanzeldecken und halfen mit, die wehrhaften Kirchenburgen zu renovieren.Wer weiß nichtmehr, wie spannungsvoll unsere Frauenbälle erwartet wurden, anläßlich derer neue Trachtenstücke zum erstenmal getragen wurden und auch so manches schmackhafte Essen serviert wurde. Ja, es war ein Geben, es war ein Nehmen, es war ein glückliches Leben! Ende der 30iger Jahre erlebten wir den Höhepunkt unserer gesegneten Frauenvereinsarbeit.
Und dann kamen die Jahre 1940 und 1941. Unsere Kirchen wurden immer leerer. Ein neuer Geist wehte durch unser geliebtes Siebenbürgerland, unsere Versammlungen wurden auch immer weniger besucht, unsere schönen alten Volkslieder verstummten, unsere schönen alten Trachten verschwanden, ja nicht einmal unsere althergebrachten Grußformen sollten mehr gelten. Was wir schon immer befürchtet haben, kam von höchster kirchlicher und völkischer Stelle am 6. Mai 1941. Die gesamte Frauenvereinsarbeit in bisher gewohnter Weise wurde eingestellt, alle liebgewordenen Einrichtungen aufgehoben - es sollte ja dasselbe bleiben, nur neue Menschen und Bezeichnungen sollten es sein, noch immer galt ja die Arbeit unserem geliebten Volk - nur in erweitertem Sinn. Wir wollten auch gerne mithelfen, das neue angestrebte Ziel zu erreichen, aber bald mußten wir erkennen, daß man uns nicht wollte. Mit tiefem Weh gedenke ich der letzten traurigen Abschiedsversammlung unseres Frauenvereins in Braller. Ich wollte und konnte es noch nicht glauben, daß unsere segensreiche Arbeit hier aufhören sollte. Darum machte ich den Vorschlag, man solle neben der Zahlung von Beiträgen für das neue „Frauenwerk", deren Summe an höhere Stellen


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abgeliefert wurde, auch die Eiersammlung des ehemaligen Frauenvereins beibehalten, damit wir aus dem Erlös die Bedürfnisse unserer eigenen Gemeinde, vor allem die unserer Kirche decken könnten. Mit dem vorhandenen Geld wollte ich in den von uns renovierten Saal die noch fehlenden Holzkisten anschaffen, um die Wände vor Zerstörung zu schützen. Da sprang die neue Leiterin des Frauenwerkes auf und schrie mit vor Wut verzerrtem Gesicht, daß in unserm schönen großen Mutterlande, sogar im Radio, immer vom „Frauenwerk", nie aber vom Frauenverein die Rede sei und daß das Geld nicht mehr für Holzkisten, sondern für herrliche Zwecke, für das „deutsche Kind" und „die deutsche Mutter" zu verwenden sei. Darauf verließ sie fluchtartig die Versammlung. Wir riefen sie auch nicht mehr zurück. Ich sprach noch ein paar von Tränen erstickte Abschiedsworte, dann saßen wir noch eine Weile weinend beisammen und schließlich gingen wir traurig heim. Wir hörten auch später kein Wort des Dankes oder der Anerkennung. Man wollte sich nicht daran erinnern, daß die Bewahrungsanstalt für die kleinen Kinder in dem von uns mit vielen Schwierigkeiten gekauften Hof eingerichtet worden war, daß die Kinder hier täglich ein warmes Mittagessen empfingen, oder daß die Schule vom Frauenwerk renoviert und die Klassenräume mit Kachelöfen versehen worden waren und an vieles andere, was wir geleistet hatten auch nicht mehr.
Ja, nun herrschten neue Menschen, mit neuen Gesichtern und anderen Augen, denen wir immer im Wege standen. Den schönen gestickten Spruch, der quer über der Bühne des großen Saales hing, „Schütze Gott dein Volk der Sachsen", fand ich eines Tages in der Bühnenecke zusammengewutzelt liegen. Ich hob ihn auf, faltete ihn und bewahrte ihn infort zu Hause auf. Ja, den größten Schutz brauchten diese Leute nicht mehr. Menschen allein sollten ihr Schutz, ihre Hoffnung, ihr „Gott" sein. Ist es nun ein Wunder, daß alles so kommen mußte?" „Freut euch nicht! Gott läßt sich nicht spotten!" Gar zu sehr hat sich auch an uns dieses Wort erfüllt. Wo ist unser „reich gesegnetes stolzes Sachsenvolk heute? Wo sind unsere schön gebockelten Frauen? Wo ist unsere herrliche Sachsenblüte? Zerstreut in der großen bitteren Welt, heimatlos, elternlos, kinderlos, auf Rußlands Wiesen, wo wilde Gladiolen blühen, fronen unsere Liebsten, stöhen unter den schweren Arbeiten und leiden unter den größten Seelenqualen, die die Weltgeschichte bisher aufweisen kann. Kinder wurden von den Herzen ihrer Mütter gerissen, Mütter aus den Armen ihrer Kinder und von all dem Glanz, von all der Herrlichkeit ist uns nur eins geblieben, die köstliche Perle, unser Glaube. Er hat uns stark gemacht in all den schweren Leidenstagen, er hat uns Kraft gegeben, das Unmögliche zu tragen und gibt uns auch jetzt die Kaft durch all die dunklen Wolken den Lichtstrahl zu erblicken, der uns noch erhält, der auch jetzt noch Tag für Tag uns mit seiner großen erbarmenden Liebe umfängt, dessen Hand wir fühlen dürfen, wie sie uns lebevoll durch dies finstere Prüfungstal leitet, bis wir uns durchgerungen haben und es wieder lichter


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um uns wird und neues Hoffen unsere Seelen durchweht.
Ein solcher Lichtfunken bedeutete für mich auch dieser Auftrag, nach all den schweren vergangenen Zeiten, über die traute Frauenvereinsarbeit zu referieren. Verzeiht nun ihr Lieben, daß nur jetzt erst mein Referat beginnt, aber ich mußte doch eine Einleitung machen und die ist mir ein wenig lang geraten. Das alte Testament ist ja auch viel länger als das Neue und das Neue gründet sich ja auf das Alte.
Wo sollen wir nun mit unseren alten und nun wieder neuen Frauenvereinsarbeiten anfangen?
Sollen wir sammeln? Von wem? Von den enteigneten Großmüttern, die so viele Enkelchen versorgen müssen. Und sollen wir für die Gemeinschaft wieder etwas anschaffen, was uns die Fremden wegnehmen können?
Sollen wir den Friedhof bei dieser noch nie dagewesenen Dürrezeit neu bepflanzen? Wir sind doch durch die Wirren der Zeit so gleichgültig geworden, daß wir Verbesserungs-und Verschönerungsarbeiten als zweitrangig betrachten.
Sollen wir Beiträge sammeln? Jetzt, wo die Inflation so schnell fortschreitet, daß das Geld keinen Wert mehr hat? Auch dazu haben wir später Zeit.
In dieser düsteren trümmerhaften Zeit können wir wohl nichts besseres ergreifen, als das Köstlichste und Herrlichste, was uns zu pflegen geblieben ist: unseren Glauben! Wir können die schwergeprüften Seelen zu Bibelstunden und Leseabenden versammeln, mit ihnen unsere herrlichen Glaubenslieder singen, uns an Betrachtungen erquicken und mit den Frauen beten. Beten zu dem, der allein uns helfen kann, vor allem Fürbitte leisten für die geliebten Heimatfernen. Denn die Fürbitte bewegt den allmächtigen Gottesarm.
Ob sie wohl kommen, die wir rufen wollen? In manchen Gemeinden wird diese Arbeit schon getan. Hindernisse sind immer da: Versammlungsverbot, Zeitmangel, Licht- und Holzmangel usw. In Irmesch wurden die Gebetsstunden von einer verlangenden Frauenseele gewünscht und die verständnisvollen Pfarrersleute haben ihr den Wunsch erfüllt. Jeden Mittwochabend beim Nachtglockenläuten versammeln sich die Betenden in der Kirche. In Wolkendorf, von wo der Pfarrer nach Rußland verschleppt wurde, baten Frauen unsere Amtsschwester Bibelstunden zu halten. Der Amtsverweser meinte zwar, die Leute könnten am Sonntag genug beten, hatte aber schließlich nichts dagegen und nun versammeln sich die Frauen jeden Donnerstag zwischen 5-6 Uhr. Die Amtsschwester konnte mir nicht genug davon erzählen, wie auch ihr Glaube durch diese Bibelstunden wachse und stark werde. Aus meiner Erfahrung kann ich auch berichten. Durch die Irmescher angeregt, begann ich schon im vergangenen Winter mit Bibelstunden. Die Frauen kamen mit dem Spinnrocken in ein Klassenzimmer. Wir sangen ein Lied aus dem Gesangbuch, danach las ich eine Betrachtung aus der „Fibel für kranke Mütter" vor und dann sangen wir ein zweites Lied. Abschließend


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beteten wir für alle und sprachen das aus, was uns auf dem Herzen lag. Danach saßen wir noch lange beisammen, die Frauen spannen fleißig ihren Hanf, während ich ihnen entsprechend ausgewählte Erzählungen vorlas. Die Zusammenkünfte waren ja gut, aber eigentlich doch schwach besucht. Die jungen Frauen und Mütter fehlten, die mittleren kamen, aber die aus der „neuen Zeit" hatten kein Verlagen nach derartigen Zusammenkünften. Die alten Großmütter mußten die Enkelkinder hüten, oder sie denken: „Unsere Zeit ist vorüber". Als im Frühjahr der Hanf gesponnen war, kamen immer weniger Fauen zusammen und schließlich hörten wir mit den Bibelstunden auf. Mein Mann hatte jedesmal um die Bewilligung der Bibelstunden (beim Gemeindamt) und deren Programm angesucht.Beim letzten Ansuchen erhielten wir die Antwort: „Nicht bewilligt". Sollte dies Versammlungsverbot auch weiter bestehn bleiben, so müßten wir unsere Zusammenkünfte in der Kirche abhalten.
Wir Frauen werden immer da helfen, wo man uns braucht. Es bleiben uns die Krankenbesuche und die Hilfe an verlassenen Kindern und den Dorfarmen. Wie weit eine Hilfeleistung möglich ist, wird jede von uns selbst wissen, denn es gibt auch Pfarrhäuser, die nicht immer können, wie sie gerne möchten. Mir, als aktive Lehrerin, fehlt die Zeit, um das zu tun, was ich so gerne möchte.
Die Christbescherung ist hoffentlich in allen Gemeinden wieder dem Frauenverein übertragen worden. So konnten wir für unsere Kinder Kuchen backen. Eine Frau aus Bulkesch erzählte mir, daß sie Geld gesammelt und aus der Lica-Fabrik in Hermannstadt Bäckereiwaren gekauft hätten. Wie wir es diesmal zu Weihnachten machen sollen, wollen wir gemeinsam besprechen.
Zu unserer „kirchlichen Frauenarbeit von heute" kann ich nur sagen: die vorhandenen Frauen müssen wir zusammenfassen, zusammenhalten und ihre Seelen im Glauben stärken und sie zu neuer opferwilligen Arbeit anspornen. Dazu möchte uns Gott der Allmächtige helfen. Uns sind diese Vorarbeiten zugedacht, wir wollen sie treu und soweit unsere Kräfte reichen auch erfüllen, unseren Nachfolgerinnen aber sei es vergönnt, das Aufblühen und Wachsen unseres geliebten Volkes wieder zu unterstützen, in herrlicherem Maße, als wir es tun konnten. Wir aber wollen mit Gottes Hilfe nach dem alten Muster dort, wo es nottut, unsere Frauenhände in Liebe und Eintracht zu neuem Schaffen und Werden reichen. Der Herr, unser erbarmender hilfreicher Vater, schenke uns seinen Segen dazu."



Genau am Heiligen Abend 1945 trafen die ersten Rußlandheimkehrer, die man wegen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit entlassen hatte, in Maldorf ein. Abgemagert und entkräftet, auch innerlich zermürbt, boten diese Menschen ein trauriges Bild. Sie brauchten nicht viel darüber zu erzählen, wie es ihnen ergangen war, man konnte das schon an ihrem Zustand erkennen.


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Über die Nachricht, daß unsere Kinder bis zur Zeit gesund seien, freuten wir uns, doch der Anblick der Heimgekehrten und die Beschreibung der Zustände in den russischen Arbeitslagern vermehrte die Sorgen und steigerte die Angst um unsere Lieben.
Ein zweiter Krankentransport kam Anfang 1946 in Rumänien an, dann aber wurden unsere nach Rußland Deportierten nicht mehr heimgebracht, sondern nach Deutschland abgeschoben. Die meisten blieben nach ihrer Gesundung und körperlichen Wiederherstellung in Deutschland. Einige aber überschritten illegal die Grenzen und kehrten nach Siebenbürgen zurück.
Zu den materiellen Schwierigkeiten, denen wir während des Krieges und den Jahren danach ausgesetzt waren, gesellte sich 1946 eine allumfassende Dürre. In der Donauebene, dem Baragan und dem Banat, vertrocknete das Getreide schon vor der Reife, die Herbsfrüchte, im besonderen der Mais, vertrockneten schon in den Sommermonaten. In Siebenbürgen war es nicht die Dürre allein, sondern auch die unqualifizierte Arbeitsweise der „neuen Bodenbesitzer", die die Ernte schmälerten. So kam es, daß auch viele unserer enteigneten Bauern in Not gerieten. Da die Kirchenleitung zu der Zeit die einzige Instanz war, die sich um unsere Volksgenossen kümmerte, betrachteten wir es als unsere Pflicht, notleidenden Gemeindegliedern zu helfen. Wir versuchten unsere alten Organisationsformen, die durch die Volksgruppenleitung zerstört worden waren, neu zu beleben und für den Dienst am Nächsten zu reaktivieren. Nachbarschaften, der Frauenverein, Schwestern-und Bruderschaft wurden neugegründet, um durch sie die gegenseitige Hilfe unter unseren Landsleuten zu sichern. Dabei mußten wir aber größte Vorsicht walten lassen, denn die neuen Staatsorgane waren sehr mißtrauisch und betrachteten alle ihr nicht untergeordneten Organisationen als Vereinigungen des „Klassenfeindes" oder als Gruppen von Chauvinisten. Es war für uns sehr schwer, Mittel und Wege zu finden, um unseren Leuten zu helfen, ohne gegen die staatlichen Verordnungen zu verstoßen. Der gesamte Kampf ums Überleben stärkte unsere Gemeinschaft und scharte die Sachsen wieder um ihre evangelische Kirche.

Im Herbst des Jahres 1946 mußte nun auch Karli, unser Jüngster, in eine Stadtschule, ins Gymnasium, gebracht werden. Da Idi schon seit Jahren das Mediascher Gymnasium besuchte, war es selbstverständlich, daß auch Karli in derselben Stadt die Schule besuchen sollte. Schon vorher hatte ich für beide Kinder im Internat des Stefan-Ludwig-Roth-Gymnasiums Plätze reservieren lassen. Der junge Professor Andreas Kloos, der damals auch als Internatsleiter fungierte, erfreute sich großer Sympathie seitens der Schüler und genoß gleichzeitig das volle Vertrauen der Eltern.
Regelmäßig zum Schulbeginn brachte ich Idi und Karli mit einem Pferdewagen nach Mediasch. Idi, die sich auf ein Treffen mit ihren Klassenkameradinnen freute, plauderte fast


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ununterbrochen auf dem 28 Kilometer weiten Weg, während Karli noch unter der Last des Abschieds von der lieben Mutter und der trauten Umgebung still und trübselig vor sich hinstarrte. Im Internatshof empfing uns Professor Kloos freundlich und führte die Kinder sofort in den für Mädchen-bzw. Jungenklasse eingerichteten großen Schlafraum, wo er ihnen je ein Bett und einen Kleiderschrank zuteilte. Idi holte sofort das Gepäck vom Wagen, bat Karli mitzugehen und zeigte ihm, wie die Sachen im Kleiderschrank untergebracht werden müßten. Karli, den schon der Lärm der vielen Kinder, die sich im Internatshof tummelten, gestört hatte und dem die ganze Umgebung nicht behagte, stellte sich selbst in den
Schrank und begann jämmerlich zu weinen. Schluchzend stieß er immer wieder hervor: „Hä bleiwen ech net!" Meine tröstenden Worte und der Hinweis, daß die übrigen Jungen ja auch hier zur Schule gehen sollten und sich darüber freuten, blieben erfolglos. Karli blieb konsequent bei seinem Ausspruch. Mir blutete das Herz, doch nachgeben durfte ich unter keinen Umständen, also gab ich meinem Sohn einen väterlichen Kuß und überließ ihn weinend seinem Schicksal. Die Heimreise war auch für mich diesmal unangenehmer als sonst, denn in Gedanken war ich immer bei meinem weinenden Jungen. Karli beruhigte sich bald, nachdem ich das Internat verlassen hatte, gewöhnte sich an die neue Umgebung an der Schule und die Klassenkameraden und hat sich später nie mehr geweigert, in die Schule, d.h. in die Fremde zu fahren.
Am 12 Oktober 1947, als ich mit der Vorbereitung zur Weinlese vollauf beschäftigt war, wurde die Pfarrerfamilie durch einen schweren Unfall heimgesucht. Unsere damals 17jährige muntere Tochter Idi, die ein in unserem Garten unerlaubt grasendes Pferd vertreiben wollte, wurde von dessen Huf an den Hinterkopf getroffen […].


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[…] Unsere täglichen Gebete waren demnach nicht vergebens gewesen, der himmlische Vater und gnädige Gott hatte uns die liebe Idi wiedergeschenkt.
Im Sommer 1948 kam nach langer Zeit wieder ein Krankentransport aus Rußland direkt nach Rumänien. Mit diesem Transport kam auch unsere liebe Helga nach drei Jahren und acht Monaten endlich wieder nach Hause. Am 4. Juli 1948 durften wir sie in dem für ihren Empfang mit Eichenlaubgirlanden geschmückten Pfarrhaus in die Arme schließen und Gott für ihre Errettung danken. Es war dies ein Tag innigster Freude, denn nun war unsere Familie wieder vollzählig beisammen. Wir konnten es kaum fassen, daß unsere Helga wieder daheim war. Ach, sie konnte so viel von dem unmenschlichen Frondienst, den sie bei karger Ernährung und unter schwierigsten klimatischen Verhältnissen leisten mußte, erzählen. In Gedanken ließ sie uns die Kolonne der Verdammten auf dem kilometerlangen Weg aus dem Lager zur Arbeitsstelle begleiten. Lebhaft stellten wir uns die vermummten Gestalten vor, die sich vor der eisigen Kälte von minus 40 Grad zu schützen versuchten und die von bewaffneten Aufsehern erbamungslos zur Arbeit getrieben wurden. Wir sahen unsere junge Helga unter freiem Himmel in der Tonerdgrube mit einer mächtigen Schaufel die gefrorenen Erdschollen in Loren verladen und sich gegen den fürchterlichen Wind stemmen, der die von Hunger und Kälte geschwächten Menschen aus der steilen Bergwand, in der sie terassenförmig den Rohstoff für eine große Ziegelei abbauten, wegzureißen drohte. Wir saßen in Gedanken mit ihr an den rohen Tischen des „Speisesaales" und warteten auf das klebrige, fast ungenießbare Brot und die warme „Suppe" - in Wirklichkeit das warme Wasser in dem ein paar Weißkohlblätter schwammen -, oder gingen mit ihr


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in den Schlafraum, in dem etwa fünfzig Holzpritschen den Frauen als Schlafstellen dienten. In diesen Räumen versuchten die abgemagerten Gestalten sich vom Ungeziefer, den Läusen und Wanzen, zu befreien. Die äußere Not, so berichtete sie, wurde noch durch das quälende Heimweh und durch die Sehnsucht nach dem Elternhaus gesteigert. Kraft und Mut, um in der Verbannung durchzuhalten, schäfte Helga aus dem Glauben und stärkte sich durch die Gebete und geistlichen Lieder, die sie schon als Kind im Elternhaus gelernt hatte. Sie schilderte auch das Leben in dem primitiven Arbeitslager, in dem Menschen verschiedener Altersgruppen, mit ganz unterschiedlichen Lebensauffassungen und charakterlichen Eigenschaften auf engsten Raum zusammengepfercht vegetieren mußten. Der Hunger ließ manche der Lagerinsassen zu rücksichtslosen Egoisten, machmal sogar zu Verrätern und Übeltätern werden. Junge Frauen wurden oft durch Nachstellungen des Wachpersonals bzw. deren Helfershelfer belästigt. Um sich gegen solche Übergriffe besser wehren zu können, schlossen
sich Menschen gleicher Wesensart zusammen […]
Helga war als selbstbewußte, lebensfreudige siebzehnjährige Seminaristin (Schülerin der Lehrerinnenbildungsanstalt) aus dem Elternhaus gerissen worden, nun kam sie als nachdenkliche, durch Arbeit und Not geprägte junge Frau zurück […].


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[…] Rumänien geriet nach 1944 immer mehr unter sowjetischen, d.h. kommunistischen Einfluß. Im Zuge des „Aufbaus des Sozialismus" fanden eine Reihe von „Reformen" statt. 1945 die Bodenreform, durch die unsere sächsischen Bauern ihr gesamtes Hab und Gut verloren. (Dekret-Gesetz Nr. 187/1945 über die Verwirklichung der Agrarreform).1948 enteignete man die Industrie-, Bank-, Versicherungs- Hütten- und Transportunternehmen, wobei auch das sächsische Bürgertum seiner wirtschaftlichen Grundlage beraubt wurde (Dekret-Gesetz Nr. 119/1948), und im selben Jahr enteignete der Staat auch das gesamte Schulvermögen (Dekret Nr. 176/1948 über Verstaatlichung der Kirchen-, Kongregations-, Gemeinschafts-oder Privatgüter, die zum Betrieb und zum Unterhalt von allgemeinen technischen und gewerblichen Erziehungsanstalten dienten).
Das Schulreformgesetz ging von der Trennung der Kirche und des Unerrichtswesens aus und beseitigte unser bislang bewährtes Schulsystem. Ab 1948 gab es nur noch staatliche Einheitschulen, die sich wie folgt gliederten: Grund-, Allgemein-, Mittel- und Hochschulen (Grundschule - Klassen 1-4, Allgemeinschule - Klassen 5-7, Mittelschule - Klassen 8-12). Der Besonderheit Rumäniens Rechnung tragend (im Land gab es zu der Zeit über 3 Millionen Analphabeten - hauptsächlich Rumänen und Zigeuner, aber auch etliche Ungarn), war vorerst nur der Besuch der Grundschule für alle schulpflichigen Kinder (im Alter von 7-14 Jahren) verpfichtend. Das bedeutete für unsere deutschen Schulen, an denen es schon immer mindestens sieben Klassen gegeben hatte, einen empfindlichen Rückschlag. In den meisten Dörfern blieb nach der Schulreform nur die Grundschule bestehen und nur in größeren Ortschaften gründete der Staat Allgemeinschulen als sogenannte Zentrumsschulen. Die Absolventen der Grundschule erhielten die Möglichkeit, eine Allgemeinschule zu besuchen. Taten sie das nicht, durften sie nach Erfüllung des 14. Lebensjahres eine Berufsschule besuchen und einen Beruf lernen.


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Unsere Maldorfer evangelische Schule - Gebäude, Mobiliar, Lehr-und Lernmittel - übergab ich im August 1948 den Vertretern des Gemeindeamtes. Aus unserer Schule mit sieben Klassen wurde nun eine Grundschule, d.h. es blieben hier nur die Klassen 1-4. Unsere Lehrer, die vom Staat übernommen worden waren, unterrichteten wie bisher in deutscher Sprache, doch war der Unterrichtsstoff ein ganz anderer als bisher. In den „Staatsschulen" gab es keinen Religionsunterricht mehr, dafür aber Fächer, die der kommunistischen Erziehung dienten und solche, die in rumänischer Sprache, unterrichtet werden mußten. Das allgemeine Mißtrauen, das man uns entgegenbrachte, führte zu ununterbrochener Beobachtung sowohl der Lehrer als auch der Schüler durch staatliche Organe. Besonders Pfarrfrauen, die als Lehrerinnen arbeiteten, waren Schikanen ausgesetzt. Meine liebe Frau, die immer mit viel Fleiß und Geduld ihre Schüler betreut hatte, konnte Dank ihrer Leistungen und unseres guten Verhältnisses, das wir schon von früher zu den Vertretern der Gemeindeleitung hatten, diese schwere Zeit überbrücken.
Kurz vor Weihnachten 1949 schenkte uns uns der liebe Herrgott die Freude, all jene, die die Sklaverei, den Hunger und die Kälte in der Sowjetunion überlebt hatten, wieder in der Heimat zu begrüßen. Mit Genugtung stellten wir fest, daß die meisten körperlich fit und relativ gut gekleidet nach Hause kamen. Aus den Berichten der Heimkehrer erfuhren wir, daß sich das Leben in den Arbeitslagern nach 1947 ständig verbessert hatte. Allmählich hatte man die strenge Bewachungsmannschaft durch Verwaltungsbeamte ersetzt, was dazu führte, daß unsere Leute bis zum Schluß als normale Arbeiter angesehen wurden. Das ermöglichte den Deportierten, sich frei zu bewegen, in die Ortschaften und deren Märkte zu gehen, wo sie sich von ihrem verbesserten Lohn Lebensmittel und neue Kleidung kaufen konnten. Kurz vor der Heimreise hatten alle ihr russisches Geld für neue Kleidung ausgegeben und bei der Ankunft den Eindruck erweckt, daß es ihnen relativ gut gegangen sei. So durften wir nun wieder frohe Weihnachten feiern und von Herzen singen „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen". Doch auch in der allgemeinen Freude gedachten wir der 17 Gemeindemitglieder, - der Mütter, Väter, Töchter, Söhne, Frauen und Männer-, die infolge der Entbehrungen ihr Leben verloren und ihre letzte Ruhe in Rußlands kalter Erde gefunden hatten (von den 275 verschleppten Maldorfern starben 17  - 6,18%, das waren im Verhältnis weniger als die Gesamtverluste während der Deportation - 15%.
Daß von Maldorf außer Helga und Erni auch noch andere junge Menschen, man kann ruhig „Kinder" sagen, unrechtmäßig nach Rußland verschleppt wurden, zeigt der Fall unserer Nachbarin Sara Schuster. Diese wurde als fünfzehnjährige, noch nicht konfirmiertes Mädchen in die


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Kolonne der Verdammten eingereiht und zur Zwangsarbeit verschleppt. Als sie nach fünf Jahren als Zwangzigjährige heimkehrte, war ihr sehnlichster Wunsch, sofort konfirmiert zu werden, damit sie zur Weihnachtsfeier auch mit dem Borten, dem Schmuck der Mägde, zur Kirche gehen könne. Ich entsprach dem Wunsch, konfirmierte Sara am Weihnachtsmorgen im Frühgottesdienst und so durfte sie im Hauptgottesdienst in voller Tracht und mit dem Borten in den für Mägde bestimmten Bänken Platz nehmen […].
Allgemeiner Lehrermangel machte es nach dem Krieg möglich, daß auch Schüler der ehemaligen Lehrerbildungsanstalt und der Gymnasien, die keine Abschlußprüfung abgelegt hatten, als Hilfslehrer angestellt und durch Fernstudium ihre Ausbildung fortsetzen konnten. Diese Möglichkeit nutzten auch Helga und Idi. Helga ging im Herbst 1949 nach Rode und Idi zur selben Zeit nach Kirtsch, wo sie jeweils als Hilfslehrerinnen in den Klassen der Grundschule unterrichteten. Sie legten in den folgenden Jahren Prüfungen an der Pädagogischen Schule von Schäßburg, später von Hermannstadt ab und erwarben ihre Diplome als Grundschullehrerinnen […].


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Nach der Enteignung der landwirtschaftlichen Flächen war es für jedermann schwer, Rindvieh als Haustiere zu halten. Um sich trotzdem die für den Haushalt nötige Milch zu sichern, schafften sich viele Leute Ziegen-- an. Desgleichen taten auch wir Anfang der fünfziger Jahre. Jeden Morgen sammelte der rumänische Ziegenhirt Grancea die Ziegen der Dorfbewohner und trieb sie auf die Weide. […]
Der inzwischen gewachsene Helmut (unser Enkelsohn) entwickelte sich zum großen Tier- sprich Ziegenliebhaber. Besonders die kleinen munteren Zicklein erfreuten sich seiner Aufmerksamkeit. Mit einer langen Rute bewaffnet erwartete Helmut allabendlich auf der Dorfstraße die Ankunft der Ziegenherde, trieb unsere Tiere in den Hof und sorgte dafür, daß sie ordnungsgemäß ihren Platz im Stall einnahmen. Bald fühlte er sich dermaßen für die Ziegen verantwortlich, daß er meinte, sie auch am Morgen in die Herde treiben zu müssen. Beim Frühglockenläuten, wenn Grancea seine Herde zusammentrieb, stand der pflichtbewußte Junge auf, schlüpfte hurtig in sein Höschen, zog Strümpfe und Sandaletten an, nahm seine Rute, lief zum Stall, trieb die Ziegen auf die Straße und übergab sie dem Hirten. Grancea war ein kleiner Mann mit krummen, O-Beinen. Wenn er hinter den Ziegen laufen mußte, hatte man den Eindruck, er bewege Räder und nicht die Beine. Helmut war von der ganzen Art, die Grancea an den Tag legte, begeistert und versuchte dessen Auftreten, seinen Gang und den Umgang mit den Ziegen nachzuahmen. Wurde er gefragt was er später einmal werden wolle, antwortete der Junge promt „Ziegenhirt". Wie ernst Helmut seine Arbeit einschätzte, ist aus folgendem Beispiel abzuleiten. Eines morgens überhörte er im Schlaf das Morgenläuten. Ich gönnte ihm die süße Ruhe und trieb selbst die Ziegen auf die Straße.
Durch Granceas bekannte Stimme geweckt, sprang der Junge aus seinem Bettchen, holte die Rute, lief zum Stall und nachdem er hier keine Ziegen mehr fand, auf die Straße. Noch konnte er seinen abziehenden Freund Grancea sehen. Wutentbrandt lief er auf mich zu, ließ die Rute auf mein Hinterteil sausen und schrie mich an. „Woräm host ta de Gis erausgelossen?" (Warum hast du die Ziegen herausgelassen?)
Bis zur Schulreform von 1948 hatte Karli die erste und zweite Klasse (5. und 6. Schuljahr) des Mediascher Gymnasiums besucht. Diese deutsche Schulanstalt löste der Staat im Zuge der Reform, zusammen mit ähnlichen aus anderen siebenbürgischen Städten (aus Hermannstadt, Schäßburg und Bistritz) auf. Die neugeschaffene Einheitsschule verwandelte das ehemalige


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Obergymnasium (die Klassen 9-12) in das sogenannte Lyzeum. Für ganz Siebenbürgen bewilligte der Staat ein einziges deutsches Lyzeum mit dem Sitz in Kronstadt. In die Schäßburger Bergschule, das ehemalige „Bischof-Teutsch-Gymnasium" verlegte man das Mädchenseminar von Schäßburg und das Seminar für Jungen aus Hermannstadt und nannte die neue Anstalt Deutsche Pädagogische Schule. Karli blieb auch weiterhin in demselben Schulgebäude von Mediasch und besuchte hier die siebente Klasse der Einheitsschule […].
Nach 1952 wurde ich des öftern von Abordnungen anderer Kirchengemeinden aufgefordert, mein Maldorfer Arbeitsfeld zu verlassen. In der Regel wohnten die Gesandten einem sonntäglichen Gottesdienst bei, meldeten sich danach im Pfarrhaus und überbrachten ihre Botschaft. Jede Aufforderung mußte reiflich überlegt und im Familienkreis besprochen werden. Dabei stellten wir immer das Für und Wider eines Stellenwechsels gegenüber,


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Mehr zu denken gab uns die Aufforderung der Kirchenleitung von Tobsdorf. Dieses kleine Dorf erfreute sich in der Landeskirche eines guten Rufes und galt als erstrebenswerte Pfarrei. Auch versprach Kurator Andreas Klein, sich an den damaligen Schulinspektor von Mediasch, an Prof. Andreas Kloos, zu wenden und diesen zu bitten, meine Frau in die Lehrerstelle von Tobsdorf zu versetzen. Zusammen mit Karli fuhren wir nach Tobsdorf und sahen uns die Kirche, Pfarrhaus und alle sonstigen Sehenswürdigkeiten des Dorfes an. Alles gefiel uns. Im vertraulichen Gespräch teilte uns Kurator Klein mit, daß Inspektor Kloos sich bereit erklärt hätte, meiner Frau den Lehrerposten zu gewähren, daß aber für Helga leider keine Arbeitsstelle zu finden sei. Dieser einzige Haken bewog uns, auch weiterhin in Maldorf zu bleiben. Bald darauf forderten mich die Vertreter der Kirchengemeinde Mortesdorf auf, ihr Pfarrer zu werden. Doch ich lehnte dankend ab.
Alle diese Ereignisse waren auch in Maldorf kein Geheimnis geblieben und man traute mir die Absicht eines Stellenwechsels zu. Des öftern schon hatte ich mich wegen der vielen Kirchenbeitragsrückständen der Gemeindemitglieder und auch wegen sonstiger Verstöße gegen vertragliche Pflichten der Gemeinde mir gegenüber vor dem Presbyterium beschwert, doch vergebens, verbessert hatte sich über Jahre hinaus nichts. Nun, da zu erkennen war, daß ich Maldorf verlassen könnte, rafften sich die Mitglieder des Presbyteriums auf und traten offiziell mit der Bitte an mich heran, doch weiterhien ihr Pfarrer zu bleiben. Sie versprachen, hinfort alle Gemeindepflichten pünktlich zu erfüllen. Unter solchen Bedingungen erklärte ich mich bereit, weiter in Maldorf zu bleiben.[…]

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Der Krieg und dessen unselige Folgen hatten uns Sachsen des materiellen Wohlstandes beraubt. Auch unsere Gehälter waren in der Zeit nicht so bemessen, daß man sich damit hätte große Sprünge leisten können. Wollte man sich trotzdem etwas anschaffen, war es notwendig eine kleine Hauswirtschaft aufzubauen, die als zusätzliche Einnahmequelle dienen konnte. Ich hatte mich schon in den ersten Nachkriegsjahren wieder der Schweinezucht gewidment und damit gute Ergebnisse erzielt. Zwei Zuchtsäue standen ununterbrochen in meinem Stall und sicherten uns durch den Verkauf der Ferkel zufriedenstellende Gewinne. […]


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Der durch den Krieg bedingte Pfarrermangel steigerte sich nach der Verstaatlichung unserer Schulen, weil die Predigerlehrer, die in ihren Gemeinden bisher sowohl den Unterricht als auch den Kirchendienst bestritten hatten, nicht mehr beide Funktionen erfüllen durften. Einige von ihnen , so auch Predigerlehrer Josef Hutter von Hohndorf, stellten sich ab 1948 dem staatlichen Schuldienst zur Verfügung. Hohndorf hatte schon immer als Filialgemeinde zu Maldorf gehört, den gesamten kirchlichen Dienst aber hatte der Predigerlehrer getätigt. Nachdem Kollege Hutter aus dem kirchlichen Dienst ausschied, fiel mir auch die Betreuung der Kichengemeinde Hohndorf zu. Bald darauf wechselte Pfarrer Johann Hofgräff von Irmesch nach Elisabethstadt und ich wurde vom Schäßburger Bezirkskonsistorium, zu dem wir als Folge der neuen Gebietsaufteilung des Landes gehörten, als Pfarramtsverweser von Irmesch eingesetzt. Zwei Jahre und sieben Monate betreute ich drei Gemeinden. An jedem Sonn-und Feiertag hielt ich zwei Gottesdienste, einen in Maldorf und abwechselnd je einen in Hohndorf bzw. in Irmesch. Die Entfernung zwischen Maldorf und Hohndorf war gering, anders war das mit Irmesch. Da mußte man einen vier Kilometer langen Weg über einen hohen Berg, durch einen Wald und über das Hochplateau des „Zenkendols" zu Fuß zurücklegen. Weil ich mein Ornat immer mittragen mußte, benötigte ich einen Begleiter, der mir den Koffer trug. Unser Nachbar, Michael Schuster (Kathi-Misch), erfüllte diese Aufgabe und erhielt dafür eine geringe Entlohnung. Schwierig wurden die Märsche bei schlechtem Wetter und im Winter, wenn hoher Schnee lag. An einem solchen Wintertag waren wir Zeugen eines Gesprächs, das uns amüsierte. In etlicher Entfernung folgten unseren Spuren, die wir in den kniehohen Schnee getreten hatten, eine Frau mit ihrem kleinen Jungen. Das Kind fragte die Mutter, ob es möglich sei, daß sie von Wölfen überfallen werden könnten. Das bejahte die Frau. Nach einer Weile des Nachdenkens sagte der Junge. „Wie gut, daß der dicke Pfarrer vor uns geht, da werden die Wölfe zuerst ihn fressen, sich dabei sättigen und uns verschonen." So anstrengend die Vertretungen auch waren, ich habe die Arbeit gerne und zur Zufriedenheit der Gemeinden getan. Die Irmescher warben um mich und hätten mich gerne zu ihrem Pfarrer gewählt. Weil aber das Dorf in einem sumpfigen Tal lag und die Wege bei schlechtem Wetter unbefahrbar wurden, wies ich diesen Wunsch zurück. 1953 kam der Kandidat Lothar Schullerus (Sohn meines Kollegen Fritz Schullerus aus Schaas), einer der ersten Absolventen des in Klausenburg neueröffneten deutschen Theologischen Hochschulinstituts, als


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Vikar nach Irmesch. Nach einem Jahr wurde Lothar als Pfarramtsverweser eingesetzt, was für mich eine bedeutende Amtsentlastung zur Folge hatte.
Im Sommer 1949 hatte Karli in Mediasch die Allgemeinschule beendet und mußte sich nun entscheiden, welchen Bildungsweg er einschlagen sollte. Zur Auswahl standen ihm der Besuch der deutschen Pädagogischen Schule in Schäßburg, wo er zum Grundschullehrer ausgebildet worden wäre und der Besuch der rumänischen Metallurgischen Schule in Mediasch, wonach er ein Polytechnikum (eine technische Hochschule) hätte besuchen müssen. Weil mehrere seiner ehemaligen Schulkameraden die Metallurgische Schule besuchen wollten und wahrscheinlich auch, weil er weiterhien in der ihm bekannten Umgebung bleiben konnte, entschloß sich Karli für die rumänische Schule in Mediasch. Schon nach dem ersten Schuljahr fühlte er sich in der rumänischen Schule nicht mehr wohl. Der Familienrat beschloß, Karlis Versetzung an die Schäßburger Schule in die Wege zu leiten. Das Schulinspektorat der „Region Stalin" (Kronstadt hatte man in der Zeit den neuen Namen „Region Stalin" gegeben), erklärte sich mit Karlis Versetzung einverstanden und so brachten wir ihn im zweiten Semester des Schuljahres 1950/1951 in die zweite Klasse der Pädagogishen Schule nach Schäßburg. Hier wurde er vom ehemaligen Seminardirektor, zu der Zeit Mathematikprofessor, Dr. Heinz Brandsch und von Professor Karl Gustav Reich, mit denen ich gut befreundet war, vorsorglich aufgenommen. Die Tatsache, daß Karli eineinhalb Jahre eine rumänische und dazu noch eine Schule mit anderem Profil besucht hatte, erschwerte ihm die Anpassung an die Pädagogische Schule. Karli schaffte es doch, beendete die Schule und erwarb sein Lehrerdiplom.
Die staatliche Planwirtschaft verpflichtete schon damals alle qualifizierten Arbeitskräfte, den ihnen zugeteilten Arbeitsplatz einzunehmen. Das bedeutete, daß auch die Lehrer hingehen mußten, wohin sie der Staat schickte. Die Absolventenserie, der Karli angehörte, erhielt nicht in Siebenbürgen, sondern im weitentfernten Banat je eine Lehrerstelle. Karli wurde an die Allgemeinschule von Liebling zugeteilt. Nur einem glücklichen Zufall war es zu verdanken, daß er nicht ins Banat gehen mußte. Ein junger Lehrer aus Maniersch, der mit einer Schwäbin verlobt war und der eine Stelle im Banat suchte, durfte mit Karli tauschen. Also blieb unser Sohn in Siebenbürgen, dazu noch in der Nähe von Maldorf und konnte am Wochenende zu Fuß nach Hause kommen. Ja, damals galt ein stundenlanger Fußmarsch über mehrere Berge noch als zumutbare Reise.
Unsere Übersiedlung nach Maldorf geschah in den schwersten Kriegsjahren, in der Zeit, in der viele unserer Männer schon als Soldaten des rumänischen Heeres an der Ostfront standen. Als dann alle Wehrfähigen ins


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Deutsche Heer, eingegliedert wurden, verließen alle jungen Männer unser Dorf, was einen bedeutenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rückschlag zur Folge hatte. Den bedeutendsten Schlag aber erlitt Maldorf durch die Deportation aller arbeitsfähigen Frauen und Männer in die Sowjetunion. Diese Ereignisse hatten zur regelrechten Entvölkerung unseres Dorfes beigetragen. Die Not der zurückgegebliebenen Alten und Kinder vergrößerte sich durch die Enteignung und die Entrechtung der Rumäninedeutschen. Um der allgemeinen Verzweifelung entgegenzusteuern, mußten die Pfarrer unseren Tätigkeitskreis erweitern und die seelsorgerische Arbeit intensivieren. Sonntägliche Gottesdienste allein genügten nicht mehr, um den Menschen Mut zuzusprechen, wir mußten uns auch bei der Lösung von Problemen, die einzelne Personen bzw. Familien betrafen, einschalten. Das konnten wir aber nur tun, indem wir die Gemeinschaft stärkten und bereitwillige Gemeindeglieder als Mithelfer heranzogen. Dankbar erinnern wir uns an die Unterstützung, die wir von den Nachbarfamilien Johann und Maria Flager (Vetter-Nober) und Michael und Sofia Schuster (Kathi-Misch), von der Organistenfamilie Georg und Maria Zikeli (Piter-Jerk), von Johann und Sara Schmidt (Mirzelbruder) von Johann und Sofia Wagner (Binder-Hans) und anderen erhielten.
Dank der gegenseitigen Hilfe und des christilichen Beistandes, den sich die Mitglieder unserer Gemeinschaft gewährten, verkrafteten die Maldorfer die Menschenopfer, die der Zweite Weltkrieg und die Deportation gefordert hatten, insgesamt 61 Gemeindeglieder verloren ihr junges Leben in der Zeit und wurden in fremde Erde zur letzten Ruhe gebettet. Elf junge Männer fielen als Soldaten der rumänischen, dreiunddreißig als Soldaten der deutschen Armee und siebzehn Personen starben in den Arbeitslagern Rußlands.
Maldorfs Einwohner waren wegen ihrer Eigenart und der ausgeprägten konservativen Haltung, die manchmal an Starrköpfigkeit grenzte bekannt. Ein typisches Beispiel möchte ich hierfür geben. Als unser Landeskonsistorium 1955 auch Frauen die Wahl in kirchliche Körperschaften ermöglichte und ich diesen Beschluß meinem „Männer-Presbyterium" mitteilte, schüttelten die anwensenden Herren energisch den Kopf. Als wir trotzdem die erste Frau, es war Sofia Schmidt, als Presbyterin wählten, legte Johann Winkler (Botradi-Hans) aus Protest sein Amt nieder und schied aus dem Presbyterium aus.
Angesichts der schwierigen materiellen Lage unserer Gemeindeglieder hatte ich während des Krieges und auch in den Jahren danach, auf manche meiner vertraglich festgesetzten Rechte verzichtet. Daran hatten sich die Maldorfer gewöhnt und meinten ich könnte auch hinfort mit verminderten Einnahmen leben. Da ich auch schon mehrere Aufforderungen, Maldorf zu verlassen abgelehnt hatte und die Arbeitsstellen meiner Kinder in nächster Umgebung lagen, glaubte keiner daran, daß ein Stellenwechsel für


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mich in Frage käme. Woran kein Maldorfer geglaubt hatte, trat 1955 ein. Denn ich entsprach der schriftlichen Aufforderung des Waldhüttener Presbyteriums, mich um die durch den Tod des Kollegen Andreas Ehrlich vakant gewordene Pfarrstelle zu bewerben. Ohne zu wissen, daß auch noch andere das Pfarramt in Waldhütten anstrebten, reichte ich meinen Bewerbungsantrag ein.
Am 21. August 1955 fand in der Waldhüttener Kirche die Pfarrerswahl statt, woraus ich als Sieger mit 124 zu 25 Stimmen meinem Konkurrenten gegenüber, dem damaligen Pfarrer von Almen Martin Mantsch, hervorging. Noch am selben Sonntag überbrachte mir eine Waldhüttener Delegation, bestehend aus dem Kurator Michael Herbert und den Kirchenvätern Johann Wächter und Franz Orend d.A., den Wahlbrief. Da wir in einem Staat der „proletarischen Diktatur" lebten, in dem alles durch die kommunistischen Parteiorgane kontrolliert wurde, mußte auch meine Wahl vorerst vom Kultusdepartement in Bukarest bestätigt werden. Die Rekurszeit (Frist, in der Widerspruch eingelegt werden konnte) ging glatt vorüber, die Bestätigung von Bukarest lief ein und so stand meinem Umzug nach Waldhütten nichts mehr im Wege.
Meinen Entschluß, Maldorf zu verlassen, nahmen die meisten Gemeindeglieder überrascht und mit großer Enttäuschung zur Kenntnis. Die Presbyter wurden beauftragt, mich umzustimmen und zum Bleiben zu veranlassen. Kurator Lorenz Wagner erklärte sich bereit, alle Forderungen zu erfüllen, wenn ich weiterhin im Dienst der Gemeinde bliebe. Doch für mich gab es kein zurück mehr, mein Umzug nach Waldhütten war beschlossene Sache. Es lag mir aber daran, die Gemeinde in wohlgeordneten Verhältnissen zurückzulassen. Und da für den Herbst Neuwahlen in die lokalen Kirchenämter geplant waren, versprach ich dem Maldorfer Presbyterium nicht schon am 1. Dezember, so wie ursprünglich vorgesehen, sondern erst nach Weihnachten 1955, ihr Dorf zu verlassen. Bei den Wahlen sorgte ich dann dafür, daß unser Organist Georg Zikeli (Piter-Jerk), ein pflicht-und verantwortungsvoller Mann, als Kurator gewählt wurde und Maldorf durch ihn einen zuverlässigen Interessenvertreter erhielt.
Obwohl sich die Vorbereitungen zur Weihnachtsfeier durch nichts von denen vergangener Jahre unterschieden und auch alles wie gewohnt dargeboten wurde, kam an den Feiertagen bei den zahlreichen Gottesdienstbesuchen keine richtige Feststimmung auf. Uns alle bedrückte der bevorstehende Abschied. Warum das so war, versuchte der Kirchenvater Andreas Zikeli (Moser-Oinz) am Nachmittag des zweiten Christtages, anläßlich meines Abschiedsbesuches in seiner Familie, zu erklären. Er wies daruf hin, daß wir durch die gemeinsame Arbeit während der schweren Kriegs-und Nachkriegsjahre eng zusammengewachsen seien, daß sich die Maldorfer an unsere Hilfestellung dermaßen gewöhnt hätten, daß sie es sich nicht vorstellen könnten zukünftige Schwierigkeiten ohne uns zu meistern. Wie schön


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wäre es doch gewesen, meinte er, wenn ich bis zu meinem Lebensende hier geblieben und schließlich auf dem Maldorfer Friedhof die letzte Ruhestätte gefunden hätte. Dadurch hätten die Maldorfer ihren lieben „Härr Vueter" behalten und ihm ihre Dankbarkeit für immer bekunden können. Darauf konnte ich nur antworten, daß nicht wir über unser Leben und auch nicht über unser Sterben entscheiden, sondern daß allein Gott zu bestimmen hat was mit uns geschieht. Unsere Aufgabe aber bleibe, Gott nach bestem Wissen und Gewissen bis an unser Lebensende zu dienen.
Die offizielle Verabschiedung von der Kirchengemeinde Maldorf fand am Epiphaniasfest, dem 6. Januar 1956, statt. Wir hörten noch einmal das „Hochläuten" der Kirchenglocken, den gewohnten Klang, der alle Gemeindeglieder zum Gottesdienst einlud (Hochläuten - eine besonders kunstvolle Art die Glocken zu schwingen. Mir war diese Art des Glockenläutens aus keiner anderen Gemeinde bekannt). Heute folgten die Dorfbewohner vollzählig diesem Klang und durchschritten andächtig das Kirchenportal, über dem als Mahnung zu lesen ist: Glaube, Liebe, Gottvertrauen begleite dich durch diese Hallen. Betend wirst du Gott erschauen, als Frommer unter Frommen wallen". Der ganze Gottesdienst zielte auf den Abschied, wobei manches Ereignis unserer dreizehnjährigen Amtszeit in Maldorf Erwähnung fand. Auch der Organist und jetztiger Kurator verabschiedete mich mit demselben Lied, das der Kirchenchor schon bei meinem Einführungsgottesdienst 1942 gesungen hatte: „Herr, den ich tief im Herzen trage, sei du mit mir…."
Im ausgeräumten Pfarrhaus hatten die Presbyterfrauen ein Mittagessen vorbereitet, das wir gemeinsam mit dem Maldorfer Presbyterium und der Waldhüttener Delegation, die uns zum neuen Arbeitsfeld bringen sollte, einnahmen. Im tiefverschneiten Pfarrhof standen die Maldorfer dichtgedrängt, um uns Lebewohl zu sagen. Inmitten der versammelten Gemeinde verabschiedete uns Kurator Georg Zikeli und dankte dem Herrn Pfarrer und der Frau Lehrerin mit innigen Worten für all das, was sie in den schwersten Jahren, die Maldorf je erleben mußte, geleistet hatten. Er wünschte uns auch für die Zukunft Gesundheit und Gottes Segen. Kurator Michael Herbert aus Waldhütten wertete den herzlichen Abschied, den die Maldorfer ihrer Pfarrerfamilie bereiteten, als Ausdruck des Dankes für die jahrelang erfahrene geistliche und seelsorgerische Betreuung. Wir schüttelten allen Anwesenden die Hände, bestiegen den geschmückten Wagen und verließen Maldorf unter den Klängen eines flotten Marsches, den die Adjuvanten bliesen.
In Hohndorf wiederholte sich das Abschiedszeremoniell. Kurator Georg Türk dankte uns vor versammelter Gemeinde für die hier geleistete seelsorgerische Tätigkeit und wünschte uns einen angenehmen Arbeitsbeginn in der neuen Gemeinde. Begleitet von den Klängen der Blasmusik setzten wir unseren Weg fort, fuhren durch Elisabethstadt und Halvelagen der neuen Heimat Waldhütten entgegen.


Als Pfarrer in Waldhütten


Am späten Nachmittag des 6. Januar 1956, einem kalten und trüben Wintertag, fuhren wir unter Kirchenglockengeläut in Waldhütten ein. Daß sich die Zeiten geändert hatten, daß unsere Sachsen durch die neuen kirchenfeindlichen Verordnungen des „volksdemokratischen Staates" verunsichert waren, bemerkte man schon an der geringen Zahl der Dorfbewohner, die sich zum Empfang auf dem großen Pfarrhof versammelt hatten. Zu der allgemeinen Verunsicherung gesellte sich auch eine gewisse Gleichgültigkeit, die die Waldhüttener schon früher ihren Angestellten gegenüber gezeigt hatten. Wenn auch nicht mit großem Prunk, so wurden wir doch mit viel Herzlichkeit von den Anwesenden empfang. Altkurator und damaliger Presbyter Johann Lander hieß uns in seiner Ansprache herzlich willkommen und wünschte uns eine lange und segensreiche Tätigkeit in der Kirchengemeinde Waldhütten.
Die Präsentation und meine öffentliche Einführung in Waldhütten fand am Sonntag den 10. Januar 1956 statt und wurde vom Bezirksdechanten und Stadtpfarrer von Schäßburg, Herrn Albert Schaser geleitet […].