Verschleppung nach Russland - maldorf-hohndorf.de

13.07.1946




Brief aus dem Gefangenenlager Krasnokamsk/Ural




(hier können Sie die Originalversion lesen, welche Michael Flagner Mittelgasse Nr. 87 an seine Tochter Elisabeth Flagner (Bild rechts) geschrieben hat. Elisabeth befand sich zur selben Zeit im Lager 1004 in Casov Jar /Ukraine
Michael Flagner starb am 23.August 1947 im Gefangenenlager Krasnokamsk und wurde von seinen Maldorfern Leidensgenossen dort "unter den Tannen" -  wie die Ruhestätte im Lager  genannt wurde -  begraben (s. unteres Bild.  Am Grab steht Johann Wagner- Palenhons vor der Hege)








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Brief aus dem Gefangenenlager Casov Jar




(originalgetreu abgetippt nach einem Brief von Elisabeth Flagner an ihre Mutter und Geschwister aus Maldorf, Mittelgasse Nr. 87 aus dem Lager 1004 in Casov Jar /Ukraine.  Ihr Vater Michael Flagner war zur selben Zeit im Lager Krasknokams im Ural wo er am 23.08.1947 gestorben und  von seinen anderen Leidensgenossen aus Maldorf begraben wurde  (s. oberes Bild).








25.06.1947 Casov Jar/Ukraine
Herzgeliebte Mutter und liebe Geschwister
Ich bin gesund, was ich von euch auch hoffe und wünsche. Hab eben jetzt von euch 4 Karten erhalten aus dem März und 4. April. War in größter Freude, denn es waren die ersten in 2 ½ Jahren. Vom lieben Vater jetzt kein Schreiben bekommen. Mir geht es gut bin Serviermädel in der Küche von 14 Tagen. Viele Grüße und Küsse von eurem  lieben Lisi aus der Ferne und vom lieben Vater.









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Die Verschleppung




(originalgetreu abgetippt nach einem Brief von Katharina Zikeli geb. Wagner
Unten das eingescannte Original








16ten Jan. 1945. In Maldorf wurden wir alle zusammen getrommelt, nach Elisabethstadt mussten wir zu Fuß gehen, es läuteten die Glocken und wir gingen in eine ungewisse Zeit. In Elisabethstadt kamen wir in die  Ackerbauschule, in einen großen Raum, alle nahegelegenen Dörfer waren da. Wenn wir auf die Toilette mussten, mussten wir wenigstens 20-30 Frauen zusammen sein. Einzeln durften wir nicht gehen. Dann kam das erste Erlebnis. Orjenisten Rejin war hoch schwanger. Bei den vielen Frauen musste sie entbinden, das war ihr Glück, so konnte sie nach Hause. Nach ein paar Tagen wurden wir einwagoniert. 30-40 Frauen in einem Wagon. Fünf Mal am Tag wurden wir von den Russen gezählt. Dann kam der zweite Schock für mich ich hatte Heimweh und weinte. Die Schwiegermutter von der Binder Erika sah mich, kam zu mir und sagte "Tinni, ich soll dich nicht mehr weinen sehen, schau, was soll ich sagen, ich habe drei kleine Kinder bei meiner alten Mutter gelassen, mein Mann ist im Krieg, ich könnte schreien. Leider hilft es mir nichts". Dann endlich nach 14 Tagen kamen wir an. Auf der Reise hatten wir Konserven, die waren aus Amerika, die ließen wir in dem Wagon liegen, weil wir noch von zu Hause hatten. Du hättest sehen sollen, wie die Russen sich drängten, nahmen alles, was zum Essen war, da gingen uns erst die Augen auf.




Nun ein Erlebnis am ersten Weihnachtstag. Heilig Abend; wir waren in der Arbeit durchgefroren und verhungert da kam eine alte Russin mit einem Eimer drin hatte sie gekochte Zuckerrüben, jede kriegte zwei davon. Ich kann dir sagen liebe Tinni, noch nie im Leben haben wir uns so gefreut für ein Geschenk wie an diesem Abend auf die Zuckerrüben. Dann hatte ich ein Glück, ich kam in die Kantine als Gehilfin. Hatten kein Holz und keine Kohle, nicht weit von unserer Küche waren Kohlen an der Bahnlinie, nahm mir einen Eimer und ging los; auf einmal stand eine Russin vor mir und sagte "Was tust du hier?" Ich wollte weglaufen, sie schrie "bleib stehen!" und hielt mir einen Revolver auf die Brust, führte mich in einen kleinen Raum, dort waren ein paar alte Russen die fragten mich, natürlich auf Russisch "Von wo kommst du? Hast du noch Eltern? "Na schön - alle fahren jetzt nach Hause und du musst hierbleiben!" Ich fing an zu weinen. Da hatten sie Mitleid und ließen mich frei. Etwas später wurde unsere Kantine geschlossen und ich musste auf dem Bau arbeiten. Tagsüber sammelten wir Holz. Jede von uns hatte einen alte Tante, die uns das Holz abnahm. Ich kann Dir sagen, liebe Tinni, die Leute waren arm, aber von dem wenigen, was sie hatten, gaben sie uns auch was. Flagner Sus, ich weiß nicht, ob du sie kennst, war auch bei uns im Lager und Botradi Zoar die Frau vom Martin Onkel war Putzfrau im Lager. Abends trugen zwei Männer die Sus in den Keller, sie glaubten sie ist tot. In der Früh geht Zoarsaster in den Keller Kohlen holen und hört wie Sus jammerte und sagte "wo bin ich?" da brachte sie sie hoch ; Sus kam nach Hause, heiratete nach Irmisch und brachte noch fünf Kinder zur Welt.




So meine liebe komme ich zum Schluss, das war mein Leben in Russland, eines Nachts in Russland erwachte ich aus dem Schlaf. Mein Finger blutete, eine Ratte hatte mich gebissen. Dann kam der Tag, an dem wir nach Hause durften. Es war der 20. Okt. 1949.




Jetzt bin ich noch allein von den Maldorfer Frauen, mit denen ich zusammen war. Alle sind tot, außer der Welter Sara, Helmut und Will ihre Schwester und die ist verwirrt in einem Pflegeheim
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Es grüßt Euch alle Tinni Tant aus Traunreut.




Traureut 15.02.2010